Mein Name ist Giacomina Castagnetti. Ich nehme es immer gerne an, wenn ich gefragt werde, meine Lebensgeschichte zu erzählen. Nicht weil ich denke sie sei sehr wichtig, interessant, oder einzigartig, sondern weil ich die dunkelste Zeit der italienischen Geschichte miterlebt habe, those of the fascist regime and of the Second World War. Ich bin aus Roncolo di Quattro Castella, aus einer großen Familie von Pachtbauern. Ich bin Jahrgang 1925. Ich war das jüngste Kind der Familie, nach sechs Brüdern und einer Schwester. Ich bin drei Monate nach dem Tod meines Vaters geboren. Meine Mutter war eine Witwe mit acht Kindern. Wir waren immer eine sehr eng verbundene Familie. Das Gesetz erlaubte es meiner Mutter als Frau nicht, Familienvorstand zu sein. Deshalb bekam sie auch nicht das Sorgerecht für die Kinder. Das Gericht bestimmte einen Vormund, der eine ärmliche Bauernfamilie wie die unsere kontrollieren sollte. Er kam in unser Haus um die Gabeln und Messer zu zählen, die Möbel und alles andere. Er sollte sicherstellen, dass dieses Vermögen unberührt bleibe bis wir Kinder volljährig waren. Ich ging in Roncolo zur Schule. Sie ging nur bis zur dritten Klasse. Ich ging auf Holzschuhen zur Schule, mit einem Beutel, zwei Schulheften - das eine liniert, das andere kariert – und einer Fibel die alle meine Brüder schon benutzt hatten, bevor ich sie bekam. In der Schule gab es ein großes Banner das schlecht gemalt war und auf dem stand: “Der Duce hat immer recht”. Alles war so organisiert, dass Leute daran glaubten: Man widersetze sich dem Duce nicht und er habe immer Recht mit dem, was er sage. Morgens bekamen wir Lebertran: einen halben Teelöffel für die Mädchen, einen ganzen für die Jungs. Das war nicht schlimm, weil das Öl eklig und ranzig schmeckte. Aber es war schon das erste Zeichen der Diskriminierung von Frauen. Wir hatten nicht viel Mathe, aber wir verbrachten viel Zeit mit Gymnastik weil wir unsere Körper ertüchtigen sollten. Weil wir keine Turnhalle hatten haben wir jeden Tag zwei Stunden im Hof Sport getrieben, selbst im Winter, wenn es kalt war. Wir waren alle aufgeregt wegen der Gymnastikaufführung, an der wir gerabeitet hatten. Sie sollte auf dem Hauptplatz stattfinden, für unsere Eltern und alle anderen. Allerdings wollte Mussolini, dass Kinder schon von frühster Jugend an Uniform trugen: die “Figli della Lupa”, die “Balilla”, die “Piccole Italiane”, die “Avant-gardists”. Mütter wurden in die “Massaie rurali” (ländliche Hausfrauen) eingeschrieben. Ihnen wurden Flugblätter gegeben damit sie Hühneraufzucht lernen konnten, und wie sie den Garten bestellen sollten: den “Kriegsgarten”. Die ganze Familie war organisiert. Der Duce hat außerdem entschieden, dass große Familien mit einer Urkunde ausgezeichnet werden sollten. Insbesondere unsere Familie, weil wir sechs Jungen und zwei Mädchen waren. Diese Urkunden mussten im Haus ausgestellt sein, damit jeder sehen konnte, dass Mussolini diese Familien anerkannt hatte, die die Arbeitskraft hervorbrachten, um die Nation auf den Krieg vorzubereiten. Als ich sieben war erlebte ich meine erste Demütigung. Meine Mutte hatte nicht genug Geld um mir die Uniform der “Piccole Italiane” zu kaufen. Deshalb konnte ich nicht mit den Gymnasten auftreten, obwohl ich es mein Traum war. Ich habe nie herrausgefunden, ob wir wirklich nicht das Geld hatten, oder ob meine Mutter nicht wollte, dass ich diese Uniform trug. Nach der Vorstellung wurde an jeden Teilnehmer ein Osterei ausgeteilt. Ich hatte nie zuvor eins gesehen. Es war fantastisch, mit seinem leuchtend bunten Papier. Der Lehrer teilte jedem Kind ein Ei aus, aber ich wurde ausgelassen. Ich war es nicht wert. Kannst du dir die Verzweiflung eines siebenjährigen Mädchens vorstellen, das nach Hause läuft und denkt das es anders sei wegen eines derart unsinnigen Anlasses? Weil es keine weiße Bluse und keinen schwarzen Rock besitzt? Nachdem ich einen Sohn und eine Familie hatte habe ich ihm erzählt, was ich durchlebt habe, als ich sieben war. Jedes Jahr zu Ostern bringt er mir ein riesiges Osterei.
Ich habe nie vergessen, dass, wenn die Gutsherrin im Hof ankam, meine Mutter uns jüngeren Kindern sagte, nach drinnen zu gehen. Ich war wirklich neugierig auf die Gutsherrin, immer geschniegelt und mit einem kleinen Sonnenschirm. Sie war die Gräfin Carbonieri aus Parma. Später habe ich verstanden warum: im Pachtvertrag galten Kinder nicht als Arbeitskräfte, nur als hungrige Mäuler. Mutter wollte nicht, dass die Herrin bei ihrer Ankunft acht Kinder sah, von denen vier nicht arbeiten konnten. Die Gräfin sollte keine Gelegenheit bekommen nachzuzählen, wie viele Gläser Milch die Mutter jeden Morgen unterschlug, um uns zu ernähren. Mein Schulunterricht ging nur bis zur dritten Klasse. Für die verbleibenden zwei Schuljahre hätte ich einen längeren Schulweg gehabt. Das hätte drei Kilometer zu den Dreien hinzugefügt, die ich sowieso schon lief. Das wäre aber nicht das größte Problem gewesen. Die meisten Familien dachten, dass wenn sie Opfer bringen müssten, dann sollte es für die Jungen sein, nicht für die Mädchen. Es war so üblich, daher dachte ich da nicht mal drüber nach. Nachdem ich die dritten Klasse abgeschlossen hatte sollte ich zuhause bleiben, weil kein Geld mehr da, um war weiter zu machen. Das war etwas, dass wir zu hören gewohnt waren - und auch verstanden. Herkömmlich, wenn man geheiratet hat, dann hat man all das, was man als Frau zuhause gelernt hat, in das neue Haus, die neue Familie, eingebracht. Allerdings war alles, was du tun solltest, eine gute Frau zu sein, in deinem neuen Leben. Du solltest wissen, wie du die Hosen deines Mannes reparierst und wie du ihm Socken knüpfst. Das war der vorherrschende Zeitgeist. Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, habe ich angefangen, in den Feldern zu arbeiten. Im Winter, wenn es schneite, dann ging ich zu den Nonnen, um Flicken und Stopfen zu lernen. Sticken branchen Sie uns aber nicht bei: das war nur was für die Kinder der Reichen. Wir lernten einfaches Ausbessern von Kleidung, Flicken auf Knien anbringen oder am Hosenboden, und so weiter.
Die Vorbereitungen für den Krieg in Afrika kamen in Schwung. Alles musste für den Krieg vorbereitet werden. Mussolini pflegte zu sagen, dass nicht ein Krümel Brot verschwendet werden sollte, denn er könnte einem Soldaten in Afrika helfen. Ich habe unterschiedliche Geschichten von meinen Brüdern und deren Freunden gehört. Ich sah viel zu meinen Brüdern auf, seit mein Vater gestorben war. Ich erinnere mich noch, was Strozzi sagte. Er war sehr jung. Ein Nachbar, der später Vizepräsident der Riunite-Molkerei wurde. Bezogen auf Mussolinis Äußerungen über Bauern, dass sie in den Krieg ziehen müssten, um ein Reich zu begründen und neues Ackerland erobern, Ich erinnere mich, dass Strozzi sagte: "Der Krieg hat noch nie etwas Gutes für die Armen gebracht." Etwa zur gleichen Zeit lud die Gutsherrin alle Landwirte in ihr Haus ein um Mussolinis Ansprache zum Kriegsbeginn in Afrika zu hören. Meine Mutter nahm meine Hand und führte mich vor das Wohnzimmer der Gräfin. Wir konnten nicht ins Haus hereingehen, um es nicht zu beschmutzen. Meine Mutter hatte die Verpflichtung, alle Bauern einzuladen, sich den Duce anzuhören. Ich war sehr glücklich. Ich war dabei etwas Neues zu erleben. Als ich das Radio hörte, war ich wie benebelt, weil ich nicht verstehen konnte, wo diese tiefe Stimme her kam. Ich verstand nicht, wovon die Stimme sprach oder was die Bedeutung der Worte war - im Gegensatz zu meiner Mutter. Mir wurde klar, dass es sich um etwas Schreckliches handelte, als meiner Mutter auf dem Heimweg die Tränen kamen. Sie dachte an ihre sechs Söhne, die alle fast alt genug waren, um in den Krieg ziehen zu müssen. Von dem Moment an war ich nicht mehr glücklich, das Radio gehört zu haben.
Im Winter war der Kuhstall unser Treffpunkt. Freunde konnten endlich etwas Zeit miteinander verbringen. Soziale und politische Aktivitäten fanden im Kuhstall statt, genau so wie Liebesaffären, weil Jungen und Mädchen sich dort trafen. Ich schlich mich hinein und Tag um Tag wuchs meine Neugier. Vielleicht war es Veranlagung, aber ich hab dort viel Spaß gehabt. Man konnte dort alle Neuigkeiten erfahren. Ich hörte die täglichen Nachrichtens, aber insbesondere auch politische Diskussionen, die zunehmend auch Zuhause stattfanden. Ich lernte, dass viele Leute nicht mit dem Faschismus einverstanden waren. Der Tonfall war aber immer eher verhalten und hinter vorgehaltener Hand. Selbst ein Witz über den Duce konnte einen damals ins Gefängnis bringen. Ich erinnere mich an die Geschichte über einen jungen Mann, der verprügelt wurde, weil er einen Faschisten nicht mit dem faschistischen Gruß begrüßte. Ich war ziemlich geschockt, dass ein Junge dafür geschlagen werden konnte. Ich fand herraus, dass viele der jungen Männer nicht Teil der Aktivitäten zum "faschistischen Samstag" sein wollten, weil ihnen klar wurde, dass sie die Jugend für den Krieg vorbereiten sollten. Wir habe Bücher geteilt, wie “Il padrone delle ferriere” (Le maître des forges) oder “E le stelle stanno a guardare” (The Stars Look Down), das ich häufig gelesen habe. Das, was mich am meisten zum Denken brachte, war aber “Il padrone delle ferriere”. Als Bauern arbeiteten wir hart, aber wir waren immerhin in der Sonne, im Freien, zwischen Bäumen. Während der Lektüre habe ich mir diese Leute vorgestellt, die mehrere Meter unter der Erde ohne Schutz arbeiten. Der Autor erklärt, das alles im Dorf schwarz geworden ist, die Farbe von Kohle. Selbst die Kindsgesichter waren schwarz, weil der Kohlestaub überall war. Das Buch hat mich sehr geschockt. Mir wurde klar, was der Unterschied zwischen den Reichen und den Armen war. Ich erinnere mich wie die Männer sagten “Es ist immer die Söhne der Armen die in den Krieg ziehen, nicht die der Reichen”.
Ich wurde wirklich wütend 1938, als mein Bruder verhaftet wurde. Er wurde als Umstürzler verhaftet. Das ist das Etikett, dass das Regime für die verwendete, die dem Duce nicht zustimmten. Das Untergrundnetzwerk der Kommunistischen Partei war kontinuierlich am wachsen. Die jungen Subversiven organisierten sich selbst Haus für Haus. Die kommunistischen Vorsitzenden wurden schon lange vorher festgenommen und ins Gefängnis geschickt. Deshalb kann es so gewirkt haben, als wären wir ohne Anführer. Aber da war das Netzwerk, so schwach es auch hätte sein können, es wuchs im Geheimen dank der Worte und Taten dieser jungen Männer. Waren es zwei Menschen ein einem Tag, es waren Drei am Folgenden, denn sie fanden mehr und mehr Leute die den Faschismus satt hatten. 1939 starb meine Mutter. Sie konnte die Situation nicht mehr länger ertragen als die Grundbesitzerin uns einen Brief schrieb um uns mitzuteilen sie könne eine antifaschistische Familie nicht länger unterstützen. Ich war vierzehn und meine beiden Eltern waren tot. Dann mussten wir alles zurücklassen, alle unsere Freunde und alles was wir hatten. Wir zogen nach Gazzata di San Martino in Rio Wir hatten das Glück, einen Grundbesitzer zu finden, der uns ein Stück Land zum Bestellen überließ. Ich nehme an, ihnen war schon klar, dass wir Antifaschisten waren. Sie fragten mich ob ich ihnen aushelfen wolle mit ein paar Aufgaben, um die Kommunistische Partei zu unterstützen. Sie brauchten jemanden, der nicht zu viel auffiel. Das war genau, wonach ich Ausschau gehalten hatte. Ich wollte etwas tun, um zu helfen, aber ich wusste nicht wie. Sie gaben mir die Chance etwas für meine Familie zu tun und zur Unterstützung der antifaschistischen Ideale, an die ich anfing zu glauben. Ich fing an “soccorso rosso” zu sammeln (rote Hilfe). Die kleinen Geldbeträge auf die sich Antifaschisten verlassen konnten um jene Familien zu unterstützen deren Eltern und Brüder fliehen mussten, weil sie vom Regime verfolgt wurden. Es kam mir ganz natürlich vor. Nach allem was ich erlitten habe, der Kommunistischen Partei beizutreten bedeutete etwas für die Vision zu tun, die ich entwickelt habe. Ich würde zudem etwas für meinen Bruder tun, und Menschen eine Chance auf ein besseres Leben geben. Ich wurde Tag für Tag mehr Kommunist, dadurch, dass ich die Atmosphäre um mich herum verinnerlichte. Ich kann nicht sagen, dass mir mit fünfzehn klar war, was um mich herum geschah. Durch mein Leben war aber der Beitritt zur Kommunistischen Partei die natürliche Antwort. Es gab keine andere Lösung, ohne irgendwie gearteten Zweifel.
1941 erhielten wir ein Telegram: Mein Bruder Mario war gestorben. Er war in Griechenland stationiert. Ein weiterer Bruder ging in die Ukraine, direkt aus Albanien. Ein weiterer wurde in den Militärdienst zurückberufen und ging nach Mentone, in Frankreich, weil Italien diese Gebiet zurück haben wollte. Der Bruder der Opfer politischer Verfolgung war wurde nicht zurückberufen und war zuhause, zusammen mit dem Jüngsten, der noch nicht volljährig war, den Kindern und den Frauen. Wir hatten 20 Hektar Land zu bestellen. Wir als Frauen begannen uns selbst as Familienvorstand zu begreifen, obwohl das Gesetz das nicht zuließ. Wir mussten Wege finden, um das Land zu bestellen. Viele Frauen, selbst unter unseren Nachbarn, sind zur Arbeit in die Fabriken gegangen, um einen Vorteil aus der Kriegsindustrie zu ziehen. Sie müssen sich vorstellen: Die Männer waren im Krieg während die Frauen zu Hause blieben um die Kinder zu hüten und sich um die Familie zu kümmern. Wir waren sehr glücklich und fühlten uns wie neu geboren. Mit zwei meiner Freunde, die in diesem Bild, nahmen wir eine alte Flagge. Ich weiß nicht wo wir sie gefunden haben, aber wir nahmen unsere Fahrräder. Ich war in der Mitte während sie an den Seiten waren, und wir starteten eine Parade über die Landstraßen. Jeder war auf den Straßen, und dadurch wuchs die Parade mehr und mehr. Von Castellazzo nach Reggio waren es sieben oder acht Kilometer. Eine ganze Gruppe Jugendlicher - weil die Älteren im Krieg waren - fuhren wir unsere Fahrräder den ganzen Weg bis zur Stadt. Überall hingen Zitate von Mussolini: “Credere, obbedire, combattere” (Glauben, gehorchen, kämpfen); “L’aratro traccia il solco e la spada lo difende” (Der Pflug reißt die Furche auf und das Schwert schützt ihn). Einige Jugendliche besorgten sich Farbe und kletterten auf Leitern, um das zu übermalen. Und wo Symbole waren, Rutenbündel oder Mussolini-Büsten, da versuchten sie sie runterzureißen. Das war jedenfalls ein ganz schönes Durcheinander. Die Tage vergingen und die Lage wurde immer komplizierter, weil der König noch da war. Dann kam der 8. September 1943. Ich erinnere mich, dass wir am 8. September kein Radio hörten, es hatte ja niemand ein Radio. Die Nachrichten wurden mit Fahrrädern überbracht, das ging schnell. Innerhalb einer Stunde wusste an dem Abend das ganze Land, dass der Waffenstillstand unterzeichnet worden war. Dann sahen wir versprengte Soldaten durch die Gegend ziehen, die versuchten nach Hause zu kommen. Ich hatte schon eine gewisse Vorstellung von Antifaschismus und zusammen mit anderen Frauen war ich eine der ersten, die zu den Familien in der Nähe gingen und darum baten, diese jungen Leute aufzunehmen und ihnen Kleidung zu geben, weil sie in Gefahr waren. Der König war nämlich geflohen und die Armee war vollkommen führungslos. Die Besatzung der Deutschen begann noch in der selben Nacht, gleich am nächsten Tag.
Wir organisierten Frauenhilfegruppen. Diese Gruppen waren die ersten wichtigen Frauenorganisationen. Es waren die Frauen selbst, die sie spontan ins Leben riefen. Diese Gruppen hatten immer einen bestimmten Zweck. Etwas brachte uns zusammen, selbst die Frauen die in den Zwanzigern an Faschismus geglaubt haben. Wir alle verstanden, dass Faschismus nur zu etwas wenig Gutem führte. Da waren Frauen deren Söhne im Krieg gestorben waren, und Frauen, die nicht wie ich das Glück gehabt hatten, in einer antifaschistischen Familie aufgezogen worden zu sein. Nichtsdestotrotz waren wir alle überzeugt, dass etwas getan werden musste, um die Situation zu ändern. Was war das Ziel das uns alle bewegt hat? Frieden. Streiten für den Frieden, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Es war eine organisierte Arbeit. Wir waren in einer guten Situation, um die Partisanen zu unterstützen. Frauenhilfegruppen konzentrierten sich in erster Linie auf die Partisanenanstrengungen. Der Kamp began nach dem 8ten September, sobald die Männer in die Berge auszogen. Die Partisanen waren eine Armee ohne Uniformen und ohne Proviant. Sie hatten nichts. Das ist, warum wir begannen ihnen kleine Dinge zu sammeln. Es mag Ihnen jetzt wie nichts erscheinen, aber jedes Mal, wenn wir auszogen um Familien um eine Hose, Handschuhe, ein Hemd oder ein Paar Schuhe für die Partisanen zu bitten, haben wir unser Leben riskiert. Es war sehr gefährlich, weil Faschisten, mit der Unterstützung der Deutschen, uns verhafteten und folterten. Die Frauen in den Frauenhilfegruppen in der Tiefebene waren jeden Tag der Gefahr ausgesetzt. Wir führten unsere Aufgaben ohne Verschleierung aus, und wir hatten keine Decknamen. Zum Beispiel verteilten wir Flugzettel und verbreiteten Nachrichten. Nachrichten wurden in unseren Beuteln getragen, mit dem Fahrrad. Bezüglich der Flugblätter, wenn Sie gestoppt wurden, wie ich zum Beispiel vor dem Hospiz, dann wären Sie für den Rest Ihres Lebens eingesperrt worden. Wir transportierten Waffen. Ich habe Handgranaten in einem Sack mit Kartoffeln versteckt: Handgranaten am Boden, Kartoffeln oben drauf. Insbesondere am Anfang haben Partisanen faschistische Besatzungen überfallen um deren Waffen zu nehmen. Diese Waffen mussten von Person zu Person weitergegeben werden. Zusätzlich war es unerlässlich, Nachrichten zu verteilen. Die in den Bergen mussten wissen, was in der Tiefebene geschah. Wir ging hin und her um die Kurznachrichten über die Aktivitäten der Deutschen weiterzuleiten, falls Säuberungen passierten, wenn unsere Männer in Gefahr waren. Bei Säuberungsaktionen berichteten wir mit dem Fahrrad. Vier oder fünf von uns aus der Ortschaft würden dann die Warnung weiterleiten. In rund einer halben Stunde wussten die Jungen und Männer, die desertiert hatten, dass sie aufbrechen und sich in der Wildnis verstecken mussten.
Für gewöhnlich fuhr ich mit meinem Rad von Castellazzo zum Platz Fontanesi in Reggio, um dem Grundbesitzer mitzuteilen, ob wir kauften oder verkauften. Denn wir waren Pachtbauern. Wir mussten alles berichten, was das Land betraf. Ich musste diese Strecke häufig fahren, und mich oft in den Straßengraben stürzen um mich vor Flugzeugen zu verstecken. Eines Tages fragte ich mich, ob sie auf ein Fahrrad schießen würden. Ich bin einfach auf der Straße weitergefahren, als das Flugzeug auf mich zuhielt. Einmal wurde ich an der Kontrollstelle am Hospital gestoppt. Dort war immer eine Kontrollstelle, aber an dem Tag war ein Mann getötet worden. Deshalb gab es eine Gruppe von Faschisten die von San Maurizio zum Hospiz wanderten, wo das lokale faschistische Hauptquartier war. Sie haben einen Jungen, der zerfleischt worden war auf eine improvisierten Trage gelegt, und sangen auf dem Weg zum Hospiz: “Allarme siam fascisti” (Alarm, wir sind Faschisten). Die Straßenkontrolle am Hospiz war direkt am Bahnübergang. Sie nahmen mein Fahrrad. Für mich war das Fahrrad alles. Es war der Ferrari meiner Tage, für mich. Das Problem war, dass ich eine Tasche mit Materialien dabei hatte. Ich habe direkt die Tasche fest an mich gedrückt und angefangen zu schreien und zu weinen. Es war alles eine Finte, aber ich war auch ein bisschen ängstlich. Der Faschist starrte mich eine Zeit lang an, dann nahm er mein Rad und warf es auf mich. Wir fielen beide auf den Boden, das Rad und ich. Ich stand schnell wieder auf und dann sagte er zu mir: "Komm nicht noch mal hier her". Ich erinnere mich noch, dass seine Stiefel sehr hoch waren. Er schien mir wie ein Riese. So hat es sich damals angefühlt.
Weihnachten 1944 haben wir Kekse, Süßigkeiten und Kuchen gesammelt. Ich lagerte sie teilweise in meinem Haus, weil ich verantwortlich war und ich gefährliche Dinge lieber bei mir hatte. Die Teilnahme war in diesem Fall überwältigend. Von diesem Moment an wurden Frauengruppen eine viel größere Organisation, verglichen mit den drei oder vier antifaschistischen Frauen die wir vorher waren. Die Frauen waren sensationel. Ich fand mich in einem ganzen Haufen von Kisten voller Sachen. Dann kam Valenti, ein Mann auf Arceto, mit seinem Wagen herüber. Er war der Vater von dem, den sie "Valenti den Bandit" nannten. Er wollte für seinen Sohn büßen. Er kam im Morgengrauen und wir haben alles verladen. Die Frauen haben Dinge gebracht die sich hielte. Wir haben viele Weihnachtskarten an sie rangeheftet. Jede Frau wollte ein kurze Nachricht zu den Partisanen senden. Wir wollten ihnen zeigen, dass wir ihnen Nahe sind, damit sie nicht so sehr unter der Abwesenheit ihrer Familien leiden würden. Wir fühlten die stille Unterstützung der Frauen, in unserem Kampf um den Frieden, auf das Kriegsende wartend, also war es nicht so schwierig. Wir teilten Aufgaben Haus für Haus. Es wurde entschieden, dass wir die Nachrichten Haus für Haus und in kleinen Gruppen weitergeben. Wir mussten die Präfektur Reggio Emilia in Corso Garibaldi erreichen, alle zusammen um zwei Uhr nachmittags, aber jede musste alleine gehen. Das bedeutete, dass du wirklich überzeug sein musstest. Es war nicht alltäglich für eine Mutter, die 10km weit weg wohnte, ihr Rad zu nehmen, und zur Präfektur zu fahren. Aber die Leute waren am Hungern und Kriegsmüde, and es waren zu Viele gestorben Also waren vor der Präfektur 2000. 2000 Frauen. Wir trafen bei der Präfektur ein und die meisten von uns sind in den Hof gegangen. Wir haben drei Frauen ausgewählt um mit dem Bürgermeister zu sprechen. Sie wurden sofort verhaftet. Die Frauen, die noch draußen waren, kamen zu uns in den Hof. Wir fingen an zu Rufen, dass wir nicht eher gingen als das sie sie frei ließen. Wir blieben dort für einige Stunden und sahen schließlich unsere Kameradinnen die Treppe herunterlaufen. Was hatten wir gefordert? Wir forderten Salz und Nahrung für unsere Kinder, insbesondere für die, die in der Stadt wohnten. Auf dem Land fand sich immer irgendwas essbares. In der Stadt aber starben die Kinder vor Hunger. Es gab Lebensmittelkarten, aber es gab nicht einmal ein paar Salatblätter. Unsere Gruppe hatte herausgefunden, dass die Deutschen spezifische Pläne für unsere Region hatten. Die Männer sollten zum Arbeiten nach Deutschland gebracht werden, während Essen für die deutsche Armee an der Gothic Front aus dem Po-Tal kommen musste. Uns wurde klar, dass wir die deutsche Armee aushungern konnten indem wir so viel wie möglich wegnahmen. Wir wollten keine politischen Treffen in irgendjemandes Haus veranstalten, und dadurch die ganze Familie gefährden. Wir entschieden uns wir könnten es unter einem Baum die Straße von Masone nach Gavassa runter halten. Ich glaube er wurde “al gublein” genannt. Ich wusste nicht, wie viele Frauen erscheinen würden, weil wir nicht viele Fragen stellten. Alles was ich wusste war, dass wir dort hin gehen mussten. Als ich dort ankam waren wir vier oder fünf. Nach ein paar Minuten hat uns auch der politische Kommissar erreicht. Er began uns von der Situation in den Bergen zu erzählen, und wie die Partisaneneinheiten klar kamen. Er erzählte uns unsere Arbeit sei sehr wertvoll und wir sollten damit weiter machen. Er fügte zudem hinzu, dass Frauen sich in eine starke Position brachten um ihre Rechte akzeptiert zu bekommen. Sie hatten sich schon unterhalten, was sich nach der Befreiung ändern würde, über das Frauenwahlrecht. Der Kommissar erklärte uns, dass das Recht zu Wählen das wichtigste Recht sei, das eine Frau haben könne. Im Laufe der Geschichte wurde es nicht anerkannt. Es war der erste Schritt zur Befreiung der Frauen. Das war das erste Mal, dass ich jemanden über die Themen sprechen hörte, und über Emanzipation - ein so großartiges Wort.
Am 23ten bemerkten wir schweren Nebel über unseren Köpfen. Alles schien leise, gedämpft. Dann begannen die deutschen Panzer sich zurück zu ziehen. Eine Armee bei der Flucht ist eine der traurigsten Ansichten, die man haben kann. Da gab es eine ganze Reihe von Lastwagen, die in Jugoslawien beschlagnahmt worden waren. Die waren alle voll von verwundeten Soldaten. Es war schrecklich. Die Deutschen waren auf dem Weg zum Po Fluss, aber es gab ein paar Partisanengruppen im Flachland, die SAPs, die versuchten sie zu entwaffnen. Trotzdem, die Deutschen gaben sich bis zum Ende nicht geschlagen. Wir hatten den Befehl, uns ruhig zu verhalten. Denn niemand wusste, wie die Situation war. Ich war zu Hause, als ich ein Pferde in vollem Gallop heranreiten hörte. Die Riemen hingen noch herab, wahrscheinlich weil er das Pferd von einem Wagen abgemacht hatte. Ich rannte hinaus und da war ein Deutscher. Ein richtig junger Deutscher. Hitler hat ja auch 15 und 16 jährige eingezogen. Als er mich sah, begann er zu schreien: "Die Amerikaner! Die Amerikaner!". Er wollte, dass ich mich verstecke, denn er wusste nicht, dass ich eine Partisanin war. In diesem Moment aber waren wir einfach zwei Jugendliche, die sich beide wüschten, dass der Krieg aufhört. Er versuchte nach Hause zu kommen, während ich darauf wartete, dass das Land befreit wurde. In dem Moment konnte ich weder die Deutschen, noch diesen jungen Soldaten hassen. Vorher hätte der mir vielleicht etwas angetan. Doch in dem Moment wollte ich nur, dass der Krieg aufhört und sich die Dinge ändern. So habe ich den 24. April erlebt. Am 25. ist dann eine riesige Freude aus uns herausgeplatzt. Der Krieg hatte für mich 1935 begonnen, mit dem Feldzug in Afrika. Da war ich 10 Jahre alt. Am 25. April 1945 war ich 20. Als erstes habe ich alle Fensterläden weit aufgerissen. Seit fünf Jahren waren unsere Fenster mit blauem Papier zugeklebt, mit dem Zucker eingepackt wurde. Damit im Dunkeln kein Licht aus den Häusern nach aussen dringt. Dann haben wir eine Fahne aufgetrieben und sind als Kolonne voller Freude Richtung Reggio gezogen. Entlang der Via Emilia waren schon auf beiden Seiten amerikanische Besatzungssoldaten. Ich war sehr überrascht, denn dort begann ich farbige Menschen zu sehen, schwarze, Inder mit Turbanen. Zuerst kamen die Panzer, dahinter die anderen Truppenteile. Die stauten sich auf der Via Emilia, von Rubiera bis Reggio. Als wir dort hinkamen, waren schon die Partisanen aus den Bergen da. Als wir nach Ospizio kamen, wurden unsere ganze Partisanenkolonne angehalten, weil es im Stadtzentrum noch zu gefährlich war. Da gab es Scharfschützen, die von den Dächern schossen. Es gab viele Tote in den Tagen. Wir drehten diszipliniert um und gingen heim, aber danach fanden noch jede Menge Demonstrationen statt.
Zu Hause haben wir am Abend sofort begonnen zu hoffen. Als wir die ersten Soldaten von der Front nach Hause kommen sahen, fuhr ich immer zum Bahnhof in Reggio, um zu sehen, ob auch mein Bruder ankam, aber ich habe ihn nie wieder gesehen. Also diese sechs Brüder, diese große Familie, die der Duce am Ende des Krieges mit einer Urkunde belohnen wollte, sah so aus: drei Tote, ein politisch Verfolgter, ein Kriegsgefanger. Die Freude über die Befreiung war also sehr, sehr begrenzt.
Ich bin 80 Jahre alt, 81, ihr werdet schon nachgerechnet haben. Ich bin immer noch hier, weil ich davon überzeugt bin, dass alle Kämpfe, die ich ausgefochten habe, dass die Siege nicht für die Ewigkeit halten. Auch nicht mein größter Kampf, der gleich nach der Befreiung begann. Errungenschaften können zunichte gemacht werden. Wir haben das Glück gehabt, vor allem die jungen Leute, dass Italien seit sechzig Jahren keinen Krieg mehr erlebt hat. Wir waren zwar beteiligt, aber nicht unmittelbar. Ich denke, das liegt ein wenig auch an dem, was ich geleistet habe, gemeinsam mit vielen anderen und vielen Frauen, die so empfinden wie ich. Darauf wollte ich noch hinweisen.
Giacomina Castagnetti (geboren 1925)
Widerstand
1943 - 1945: Roncolo di Quattro Castella (Italien)
Unarmed Resistance
Widerstandsgruppen
Gruppi di difesa della Donna
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English translation
Original interview language (Italienisch)