Ich heiße Giacomo Notari. Ich wurde in den Bergen in der Gemeinde Busana geboren, genauer in einer kleinen Ortschaft namens Marmoreto. Dort lebe ich noch immer. Ich habe immer dort gelebt, auch als ich in Reggio gearbeitet habe, weil die Berge meine Seele sind. Ich wurde in einer kleinen Ortschaft geboren, die rund 300 Einwohner hatte, meistens Kleinbauern, die nicht für den Verkauf produzierten, sondern um selbst davon zu leben. Eine Landwirtschaft des Überlebens. Und so war meine Familie: wir hatten ein bisschen Land, ein paar Kühe, Kastanienwälder und ein bisschen Wald. Um die Wahrheit zu sagen: ich habe nie gehungert, ein paar Tage während des Krieges ausgenommen. Ich hatte einen Bruder, der mit 19 als Partisan gestorben ist, fast am Kriegsende. Ich hatte einen Onkel, ein Bruder meiner Mutter, der aber nicht bei uns, sondern in Cervarezza lebte. Er starb ebenfalls als Partisan, nachdem er im Faschismus auf die Tremiti-Inseln verbannt worden war. Meine Familie war christlicher, katholischer Herkunft. Mein Vater sang in der Kirche. Ich bin niemals Messdiener gewesen, obwohl sie mich gefragt hatten, weil ich mich nicht dafür ankleiden mochte... weil sie weiße Kleider mit ein bisschen rot anzogen. Und so habe ich es nie akzeptiert Messdiener zu sein. Aber wir sind zur Messe gegangen, zumindest sonntags, Glaubenslehre des Pfarrers und so weiter. Es gab eine Grundschule bis zur dritten Klasse und danach ist man - natürlich zu Fuß - nach Busana gegangen, um die fünfte zu machen. Es gab kein Wasser in den Häusern, aber eine kleine Quelle in einem Kastanienwald, wo das ganze Dorf Wasser schöpfte. Die Schule, auf die wir gingen, war überfüllt, weil es viele Kinder in den Dörfern gab. Wir waren drei Klassen in einer und somit war es ein beachtliches Gedränge. Die Schule hatte natürlich keine Toiletten, kein Wasser und kein Licht. Es gab ein Porträt von Mussolinni, eins vom König und ein Kruzifix. Unsere Lehrerin hat sogar die Tinte selbstgemacht. Sie machte sie mit schwarzem Pulver in einer Korbflasche. Und so haben wir es bis zum Ende der dritten Grundschulklasse gemacht. Ich bin immer gerne zur Schule gegangen, ich sehnte mich sogar danach. Meine Mutter ist gestorben, als ich 4 1/2 Jahre alt war, mein Bruder war fast 6. Ich habe sehr unter diesem Verlust gelitten. Ich weiß nicht, wie es anderen damit geht, ich habe auch manchmal darüber gesprochen, jeder trägt sein persönliches Leid mit sich. Ich habe das ein wenig bewältigt, als meine Töchter geboren sind. Aber ich habe es auch jetzt noch nicht überwunden. Manchmal träume ich noch davon...
Da es in Busana ein Radio gab, brachte man uns nach Busana und ich erinnere mich, dass wir die Rede des "Duce" (Mussolini) aus dem Palazzo Venezia hörten. Später habe ich ihn tausenfach im Fernsehen gesehen, diesen Dickkopf am Fenster, auf dem Balkon des Palazzo Venezia... und die ganzen Leute, die unten applaudierten. [Und was dachtest du?] Ich dachte, dass der Krieg ausgebrochen ist... Es war nicht so, dass du viel nachgedacht hast in diesem Alter. [Wie alt warst du?] Es geschah im Juni 1940, also war ich 13 1/2. Was für Gedanken solltest du dir da schon gemacht haben? Nachdem man eine Erziehung dieser Art gehabt hat. Diese Jungs gingen zum Sitz der faschistischen Partei und warfen alles aus dem Fenster im zweiten Stock. Auch das Bild von Mussolini, das bis dahin verehrt worden war. Diese Sachen im Staub der unasphaltierten Straße zu sehen, ist der erste Wendepunkt gewesen.
Es ereignete sich diese Geschichte an der Bettola, was ein traumatisches Ereignis für unsere Gegend war. Sie hatten vorher größtenteils erwachsene Menschen getötet, auch Alte, aber jedenfalls Erwachsene. Hier hingegen verhöhnten sie die Toten und töteten Kinder. Gerade daraus ist das Bewusstsein geboren zu sagen: "Mit ihnen muss man Schluss machen." Eine ganze Menge Leute griff darum zu den Waffen.
Nach all diesen Aktionen konnten uns die Deutschen nicht weiter gewähren lassen. Offensichtlich hatte unser Oberkommando erfahren, dass es eine Razzia geben würde, die dann auch stattfand. Paterlini kam und sagte: "Wir müssen was auftreiben, um die Brücke zu zertören", damit die Lastwagen nicht durchkamen. Wir gingen mit Carretti dorthin und trafen uns mit einem Arbeiter der Edison, der Elektrizitätsgesellschaft, die hatten da einen Steinbruch und deshalb auch TNT, Minen, also Sprengstoff... Wir haben die Löcher vorbereitet und dann einen großen Brückenbogen gesprengt von dieser sehr großen Brücke in Cinque Cerri... Danach sind wir hoch in die Berge und von diesem Tag an war ich im Kampf. Wir gingen zum Sitz des Kommandos in Lama Golese, unterhalb des Monte Cusna. Da war das Kommando, mit Pasquale Marconi, ein Arzt aus Castelnovo Monti, Christdemokrat, Katholik jedenfalls; auch "Eros" war da und "Miro", und ein jüdischer Arzt, der wohl Jugoslawe war. Wir verbrachten ein paar Tage dort, das war eine Art Basis für frisch Rekrutierte, aber es gab wenige Waffen; man wartete auf Fallschirmabwürfe durch die Alliierten, aber sie kamen nicht, also schickten sie vier von uns zurück nach Ligonchio. Wir kamen nach Ligonchio und fanden dort jede Menge Partisanen vor, aber leider waren nicht alle bewaffnet. Der Zustrom von Jugendlichen, die kämpfen und Partisanen werden wollten, war größer als die Anzahl Waffen, die mit Fallschirmen abgeworfen oder bei Angriffen auf deutsche Stützpunkte erbeutet wurden. Ich hatte mehr Glück als andere, denn ich bekam eine englische Maschinenpistole, eine Sten. Eine recht kurze Waffe. Aber funktionstüchtig. Man konnte sie in drei Teile zerlegen, verstecken und schnell wieder zusammensetzen. Ich bekam auch eine 9 mm Beretta-Pistole. Und vier Handgranaten. Ich war dann beim Ersten Bataillon, wir gingen oft an die Staatsstraße 63, wo sich die ganzen deutschen Stützpunkte befanden. Kurze Zeit später, im Juli, gibt es eine große Durchkämmungsaktion (Razzia). Die (Division)-Goering griff an. Anderthalb oder zwei Tage lang wurde dagegen gehalten. Dann lösten wir unsere Verbände auf, denn beim Angriff einer deutschen Division mit Panzerfahrzeugen, Artillerie, Kleinflugzeugen und Spezialeinheiten Widerstand zu leisten, das ist schwierig. Vielleicht war es gar nicht richtig derartigen Widerstand zu leisten, denn Guerilla bedeutete angreifen, zurückziehen, angreifen und zurückziehen und wiederkommen. In jener Situtation aber wollte man eine Front bilden ... das ist uns teuer zu stehen gekommen, es gab viele Tote und Vermisste. Dann verschleppten die Deutschen noch über eintausend Männer: sie brachten alle Gefangenen, die arbeitsfähig waren, nach Deutschland. Ich glaube nur zwei Frauen haben sie weggeschafft, aber tausend Männer. Darum also die Auflösung, eine Komplettauflösung. Danach zogen die Deutschen ab, die Division zog sich zurück, aber die Stützpunkte entlang der Staatsstraße 63 blieben bis zum Kriegsende da. Allmählich schlossen sich unsere Reihen wieder, jedoch mühsam. Ich erinnere mich, dass ich zehn Tage zu Hause war und meinem Vater sogar bei der Getreideaussaat geholfen habe. Während mein Bruder bei "Frigio" war, bei der Bedeschi-Abteilung, die haben schneller wieder zusammengefunden. Angst, ja, es gab Momente, in denen wir Angst hatten. Aber weißt du, richtig Angst ... ich war eher leichtsinnig. Wenn ich zurückdenke, wieviel mehr wir hätten tun können, mit geringerer Anstrengung und mit weniger Risiko. An einem Abend hatte ich Angst, denn nie zuvor hatte ich dieses deutsche Maschinengewehr feuern gehört, es wurde “raganella” (Ratsche) genannt: ein Gewehr, dass sehr schnell schoss, so viele Patronen. Ich glaube es war das einzige Mal, dass mein Herz so wummerte. Später habe ich festestellt, dass es weit weg war, aber es schien nah zu sein, wenige Schritte entfernt, nein wirklich, dieser häßliche Klang in der Stille der Nacht. An jenem Abend hatte ich ein wenig Angst, für eine Weile.
Eines Abends sind wir mit dem Kommandanten Carretti und einer großen Anzahl von Partisanen nach Acquabona gegangen, um einen deutschen Feldwebel gefangen zu nehmen... Dieser Feldwebel ließ den Bauern die Milch wegnehmen und schickte diese an das Kommando in Busana, zur Kolonie... dabei waren die Orte voll mit Menschen. Die Bevölkerung hatte uns darüber informiert und darum gebeten ihn gefangen zu nehmen. Carretti hat gesagt, wir sollten uns Säcke um die Schuhe machen, um keinen Krach zu machen wenn wir uns über die Straße bewegten. Das hat alles nichts gebracht, weil dermaßen viele Schäfer in den Dörfern waren, die Hunde besaßen. Die Hunde bemerkten uns sofort und begannen zu bellen, obwohl wir nicht besonders viel Lärm machten. Dieser Feldwebel kam mit einem Soldaten nach draußen, weil die Hunde ein solches Theater machten, um nachzusehen, was vor sich ging. Wir hatten Mienen auf der Straße verteilt, weil wir uns dachten, dass wenn es zu einem Zusammenstoß mit den Soldaten des Ortes Nismozza kommen würde, diese dann die Mienen auslösen würden. Während der Feldwebel also auf der Straße entlang spazierte, löste sich unser Problem von selbst... er trat auf eine Mine und flog in die Luft. Wir hätten ihn lebend holen sollen, nur war er tot. Der Feldwebel und auch ein Soldat. Dann mussten wir uns zurück ziehen.
Uns erreichten Meldungen, dass Truppen von der Front zurückkamen, aus der Garfagnana, sie nahmen die Straße über Fivizzano und den Cerreto-Pass und kamen in Richtung Castelnovo Monti, Richtung Po-Ebene... Man brachte frische Truppen an die Front und zog die ab, die schon seit 2 oder 3 Monaten dort waren. Wir bekamen den Befehl alles zu verminen... aber was sollten wir verminen, es gab ja schon keine Brücken mehr. Es gab da aber noch dieses kleine Ding, wir nannten es "fognone" (große Kloake). Zu der Zeit hatten wir eine Menge TNT, das von Flugzeugen abgeworfen wurde, richtig viel. Wir gingen da hoch. Die Deutschen waren schon kriegsmüde, glaube ich. Der Mond war wundervoll an diesem ruhigen, frühlingshaften Abend. We walked up there. There was a wonderful moon this night, a very calm night, like in springtime. Sie hatten eine Maschinengewehrstellung nicht weit entfernt, wir hatten die Entfernungen geschätzt und zwei Abteilungen so positioniert, dass wir in Ruhe arbeiten konnten. Wir arbeiteten tatsächlich ungestört und verbauten 45 kg Plastiksprengstoff... der fühlte sich ähnlich an wie Kaugummi. Dann haben wir die Zündschnur verlegt und angezündet. Etwas bergab sind wir in Deckung gegangen, weil es Steine regnen würde... naja, nach dem Krieg habe ich mir das noch mal angeschaut, nicht nur das Ding war verschwunden, dieser Bogen, sondern auch 2-3 Meter Straße rechts und links. Denn 45 kg TNT sind eine Menge. Die Deutschen mussten dann erstmal eine Umgehung bauen, es war wichtig, sie zu stoppen. Man verhinderte, dass die Truppen 24 Stunden früher an die Front kamen, während einer Offensive. Stattdessen mussten sie den Berg weghacken und flussaufwärts eine Art Hufeisen bauen, um passieren zu können. Aber erstmal musst du es machen, und zwar mit Hacken, denn Bulldozer gab es damals nicht.
Nun ja töten... geschossen wurde natürlich, aber zu wissen ob man jemanden wirklich getötet hatte... an diesem Abend dort sind drei Deutsche gestorben, die dort begraben wurden in Busana, wo die deutsche Einheit ihren Sitz hatte. Eines kann ich dir sagen: wenn ich einen Menschen getötet hätte, der mich dabei angesehen hätte, ich hätte heute noch Schuldgefühle, denn Töten ist immer eine sehr unangenehme Arbeit. Aber ich war schon immer der Überzeugung, wenn einer es verdient hat, weil er böse Dinge getan hat... Ich bin gegen Folter auch wenn man Informationen gewinnen möchte...das finde ich wirklich abstoßend. Aber wenn einer etwas Schlimmes gemacht hat, muss man ihn aus dem Verkehr ziehen. Wenn es sich um Spitzel handelte, war meine Position immer klar. Man musste sie ausfindig machen und dann liquidieren. Man muss unterscheiden können zwischen Personen, die etwas in gutem Glauben tun und denen, die es mit böser Absicht machen. Letztere bekamen von den deutschen Geld und unsere Leute wurden deswegen getötet, das passierte also nicht in guter Absicht geschah. Es war nicht so, dass diese Leute dem faschistischen Motto „Ich diene dem Faschismus“ gefolgt wären. Wenn jemand im Sinne der Faschisten handelt um Menschen zu schaden, und wird dann auch noch dafür bezahlt, dann macht er sich doppelt schuldig. Dieser aufwärts führende Pfad bog um eine Hecke herum. Und im nächsten Moment sehe ich einen Deutschen der dort herunter kommt mit einem Gewehr über der Schulter. Ich hatte meine MP in der Hand und zielte sie auf ihn und tatsächlich, nach wenigen Schritten, die Hecke war nicht besonders groß, kam er dort an und hob die Arme. Ich nahm ihm das Gewehr ab, aber er wollte mir seine Pistole nicht geben. Ich hätte ihm die Pistole lassen können und ihn vor mir laufen lassen, aber es ist immer besser vorsichtig zu sein. Anschließend habe ich ihn zu mir nach Hause gebracht, Man sah, dass sie eine große Lust auf Milch hatten, die Deutschen. Mein Vater machte nämlich selbst Käse, diese kleinen Käse die heute so beliebt sind, damals hassten wir sie, weil wir sie jeden Tag essen mussten. Er trank einen ganzen Krug Milch aus. Der Krug stand auf dem Tisch und war eigentlich für den Käse gedacht. Es hatte sich eine kleine Menschenansammlung gebildet. Mein Vater schaute ihn bewundernd an, denn er war selbst auch mal Gefangener. Aber es fiel kein böses Wort in gegen ihn... Der Gefangene war in meinem Alter, vielleicht ein wenig älter. Später habe ich ihn nach Ligonchio gebracht. Irgendwann erzählte mir jemand aus Busana, dass er ihn und zwei weitere Deutsche, die bereits dort waren, nach Silano gebracht hat und über die Front, zu den Alliierten. Die ganze Zeit über sprachen wir nicht. An einem Brunnen hielten wir um zu trinken. Wie zwei normale Jungs, er war da schon zahm wie ein Lamm, unbewaffnet. Später, ab Ligonchio, kam dann noch ein anderer Partisan mit mir mit, eine ehemaliger Carabiniere, der schon gestorben ist, Nello Coli, auch aus meinem Dorf.
Eines Sonntags war ein amerikanischer Oberst mit seinem Flugzeug abgestürzt und blieb eine Weile in Ligonghio. Es gab nicht viel zu essen, und damit er etwas litt, gaben sie ihm noch weniger als den anderen. Also sagte er zum Kommandanten: "Wenn ich es nach Florenz schaffe, organisiere ich dir einen Abwurf mit Flugzeugen und schicke dir jede Menge Leckereien". Er hat Wort gehalten. Er hat die Front überquert und gelangte nach Florenz. Damals gab es keine Kommunikationsmöglichtkeit von Ligonghio, Lama Golese, nach Florenz... nur einige englische Offiziere mit Funkgeräten, die konnten genau wie jetzt mit dem Telefon sprechen. Jedenfalls organisierte er diesen Abwurf, an einem Sonntagmorgen kamen von überall her Flugzeuge und warfen sogar lange Benzinkanister ab, die wie Raketen aussahen.
Ich hatte nicht das Glück während der Befreiung nach Reggio Emilia zu kommen, weil sich einige deutsche Soldaten versteckt hatten und nicht klar war, was sie im Schilde führten. Das haben wir erst am nächsten Tag herausgefunden: sie waren dort geblieben um nicht mehr weiter kämpfen zu müssen, um nicht ihrer Truppe folgen zu müssen. Vielleicht hatten sie Angst im Fluss Po zu ertrinken. Zwei von ihnen hatten hier Freundinnen, die sie später geheiratet haben. Deren Kinder leben hier noch.
Giacomo Notari (geboren 1927)
Kampfname
Willi
Widerstand
1943 - 1945: Busana (Italien)
Armed Resistance, Partisan
Widerstandsgruppen
145° Brigata Garibaldi »Franco Casoli«
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