Obwohl ich vom Militärdienst befreit war und weiterhin bis Dezember in den Reggiane-Werken arbeitete, bekam ich einen neuen Einberufungsbefehl und meine Befreiung wurde aufgehoben. Ich weiß, dass die Deutschen sofort die relevantesten Bereiche der Stadt besetzten, das Rathaus, die Zucchi-Kaserne, die Caldini-Kaserne, wo heute der Hauptsitz der Polizei ist, und dass sie die Stadt plünderten. Ich erinnere mich, dass meine Frau in Coviolo lebte. Einige Deutsche betraten ihren Hof mit Hühnern und Kaninchen und sie lachten, als sie Soldaten festnahmen, die sich ergeben hatten. Man darf nicht vergessen, dass die Deutschen am 8. September mehr als 600.000 Soldaten verhafteten und nach Deutschland schickten.
Es ist eigentlich ganz normal, dass nach den Ereignissen (Juli/September 1943) in mir die Entscheidung reifte, in den Widerstand zu gehen. Ich habe meine antifaschistischen Genossen ein wenig angelogen als ich ihnen erzählte, dass ich nicht mehr zu Hause bleiben könnte und in die Berge gehen wollte. Mit aller Vehemenz bestand ich darauf, dass sie mich gehen liessen. Es war Anfang März, wir wussten, dass sich eine Partisaneneinheit in den Bergen aufhielt, ich wollte dort hin. Mein Freund Cocchi und ich waren die Verantwortlichen, und Ugo Veronesi, und wir sammelten noch ein paar mehr Genossen auf, so dass wir uns in einer Gruppe von 7 aufmachten. Der Faschismus war für all dies verantwortlich. Es war der Faschismus, der die Allianz mit den Deutschen etabliert hatte und unbedingt den Krieg wollte: den Krieg in Spanien, den Krieg in Äthiopien, die Besetzung Albaniens, den letzten Krieg, es waren die Faschisten. Kurz: Wir verachteten die Faschisten noch mehr als die Deutschen. Auch wenn die Deutschen für Grausamkeiten verantwortlich waren – die Faschisten waren kein Deut besser. Es war an der Zeit, diesen Krieg zu beenden. Ich fing an, dies zu spüren; mein Gewissen zu prüfen. Mir schien, ich sei mitschuldig, in gewisser Weise war ich ja verantwortlich, wenn man sich meine Arbeit anschaute, wenn man sich anschaute, dass ich Waffen produzierte, so dass ich mich ein bisschen schuldig, als Komplize in diesem Ganzen fühlte. Das ist der Grund warum wir mit ein paar Freunden versuchten, in die Berge zu gehen, um gegen die Deutschen und die Faschisten zu kämpfen, mit einer Inbrunst, die man sich gar nicht vorstellen kann.
Die Partisanen trugen normale Kleidung, von allem etwas. Manche hatten Jacken, manche Mäntel, sie sahen abgerissen aus, weil noch keine wirkliche Organisation existierte, sie waren die ersten. Sie hatten schon in der Gegend von Modena und Reggio gekämpft, hatten schon ein paar Kasernen entwaffnet, aber sie hatten nirgendwo Ersatzkleidung oder Vorräte gelagert: alles was sie hatten, trugen sie auf ihren Schultern. Es gab keine Uniformen. Einer hatte vielleicht eine Armeehose, ein anderer eine Uniformjacke... Nur als Beispiel: Ich trug Zivilkleidung, als ich in die Berge ging, genauso wie ich sie jetzt trage. Ich trug diesen schwarzen Mantel, den meine Schwester für mich angefertigt hatte. Später ließ ich ihn in einem Schuppen in Cerrè Sologno, weil es schneite. Das war für nicht gut, ich hätte kilometerweit gesehen werden können. Und so ließ ich ihn dort liegen. Wir hatten Kampfnamen und sonst nichts. Unsere echten Namen wurden aufgeschrieben und nach Carpineti gebracht, wo einer unserer Genossen sie versteckt hielt. Er hatte alle Namen unserer Brigade, und später auch die der 26. Brigade, die Luigi anführte. Er und seine Frau waren angewiesen worden, nicht zu sehr in Erscheinung zu treten, da er ja für diese Datenbank mit all unseren Namen verantwortlich war. Ich zum Beispiel war als Toni bekannt, er aber hatte meinen vollen Namen, meine Adresse. Hätten die Deutschen die Kontrolle hierüber erlangt, wäre das eine Katastrophe gewesen. Sie hatten eine Höhle mit vielen Kammern ausfindig gemacht und dort wurden unsere Namen versteckt. Niemand fand sie. „Welchen Kampfnamen hättest du gern?“ „Mir ist jeder Name recht“. „Ist Toni ok für dich?“ „Klar, Toni ist gut“. Und das war’s. Viele Genossen wählten Kampfnamen wie Lupo (Wolf), Polvere (Pulver), andere nahmen der Namen ihrer Freundin an. Ein Freund von mir hatte eine Freundin, Leda, und so nannte er sich Ledo.
Wir hörten, dass ein Flugzeug hin und her flog. Wir machten drei Haufen aus Reisigbündeln, die mussten ein Dreieck bilden. Das war das Erkennungszeichen. Dann haben wir sie in Brand gesteckt. Das Flugzeug kreiste, das konnte ja nicht so schnell wenden wie ein Auto ... das zieht kilometerlange Kreise. Als sie das Dreick bemerkt hatten, haben sie den Fallschirm abgeworfen. Das war ein hochinteressanter Abwurf. Später kamen die Genossen aus Modena und forderten die Waffen für sich. Wir haben mit ihnen geteilt, da waren ja schließlich 130-140 Maschinenpistolen. Damals waren wir nicht mehr als vierzig oder fünzig, hatten also mehr als wir brauchten. Von da an gingen die Abwürfe weiter.
Ich habe eine Schulung für Saboteure mitgemacht. Wir waren etwa zu fünft glaube ich. Die Alliierten warfen ständig Sprengstoff ab und niemand wusste damit umzugehen, bis sie uns per Fallschirm einen Saboteur schickten, der uns dann ausgebildet hat, Brücken, Eisenbahngleise und so weiter, in die Luft zu sprengen. Er hat uns beigebracht, wie man Sprengstoff benutzt, wie man Minen baut, wie man die Eisenbahnlinien sprengt, wie man Straßen oder eine Militärkolonne in die Luft jagt – alle diese Sachen. Später dann, mit einiger Erfahrung, sind wir besser geworden als unser Ausbilder, weil der selbst auch nur husch-husch ausgebildet wurde, nur das Wichtigste lernte und dann über Partisanen-Gebiete abgeworfen wurde. Wir dagegen haben bei null angefangen und dann aber versucht, unsere militärischen Fähigkeiten zu verbessern. Es war zum Beispiel so, dass wir für die Sprengung einer Brücke an der Straße SS 63 eineinhalb Stunden benötigten, weil sie aus Felsgestein war. Wir haben unsere Methode geändert und es gelang uns, die Brücke in einer Viertelstunde zu sprengen. Als die große Durchkämmungsaktion im Juli stattfand, waren wir zwei oder drei Minenexperten, nicht mehr, aber wir waren verstreut, weil der Kampf um vier Uhr morgens begonnen hatte und am Abend praktisch das ganze Partisanengebiet von Deutschen besetzt war. Wir hielten uns in Carpineti auf und hatten Costabona erreicht, das ganze Dorf brannte. Die Deutschen hatten das ganze Dorf angezündet und auch die Weizenernte auf den Feldern. Das war ein wirklich trostloser Anblick. Wir waren noch zusammen, etwa 30 Leute vom Partisanenbataillon „Bedeschi“. Außerdem war da noch eine Partisaneneinheit aus dem Gebiet von Modena, die schon am Anfang mit uns zusammen arbeiteten. Wir haben uns in Costabona zusammengeschlossen mit dem Willen, den Deutschen, die schon die ganze Zone besetzt hatten, hier entschlossen entgegen zu treten. Aber auch für uns war es hart, während der Nacht voranzukommen. „Also bleiben wir hier, morgen leisten wir Widerstand.“ Wir hatten auch einen Granatwerfer, aber als erstes mussten wir die Brücke über den Secchiello in die Luft jagen. Ich bin zuerst seitlich zur Brücke hinunter gestiegen, dann bin ich unter die Brücke gegangen, aber die Brücke wurde bereits von den Deutschen bewacht. Dadurch war es schwierig sie zu sprengen. Aber dank all des Durcheinanders gelange ich darunter, bringe die Mine an, die Brücke war aus Eisen, aber vor der Brücke war ein Felsen etwa so hoch wie das Stockwerk eines Hauses. Ich zünde die Zündschnur an und springe zur Seite, gerade rechtzeitig denn die Deutschen hatten etwas bemerkt und zwei Leuchtraketen abgeschossen, aber ich war gesprungen, als die Bengalos gerade hoch gingen und versteckte mich hinter dem Felsblock. Meine Leute wussten, dass sie, wenn die Deutschen schossen, auch schießen mussten, um meinen Rückzug zu decken. Es wurde eine heftige Schießerei zwischen den Deutschen und unseren Leuten. Ich habe mich langsam zurückgezogen, unverletzt, kurz gesagt. Am Morgen danach haben die Deutschen zweimal versucht, Costabona zu erreichen, wir haben sie zurück geschlagen, weil da Bäume standen, Eichen. Wie hatten uns mit Maschinenpistolen in Stellung gebracht, zweimal haben wir zum Rückzug gezwungen. Sie hatten (schwere) Maschinengewehre, gepanzerte Fahrzeuge. Wir hatten die Brücke gesprengt, sodass sie mit den gepanzerten Fahrzeugen nicht rüber kamen. Von der Energie her hätten wir uns verteidigen können, aber gegen schwere Waffen nicht, die hatten wir nicht. Am Abend sind wir dann losgezogen, Stück für Stück sind wir nachts über Civago bis nach Segheria, in den Wald dort, wo wir im Morgengrauen ankamen und den ganzen nächsten Tag über geblieben sind. In der darauf folgenden Nacht sind wir vorbei am Passone-Pass, der neben dem Monte Cusna liegt, bis in das Gebiet der Berghütte Cesare Battisti, die bereits vollständig ausgebrannt war. In dem Gebiet sind wir 12 Tage geblieben. Es regnete oft und wir hatten nichts, um uns abzudecken. Ich und ein anderer hatten das Glück, dass wir nach Ligonchio geschickt wurden, um Informationen über die Bewegungen der Deutschen einzuholen und zu versuchen ein paar Lebensmittel aufzutreiben und sie mit hoch zu bringen. Jede Nacht lief ich hoch mit etwas Brot, Käse und überbrachte auch die Informationen. Bis dann die Deutschen nach einigen Tagen abzogen und ich sagen konnte: "Das Gebiet ist frei".
Wir waren alle zwischen 15 und 28 Jahre alt. Ein Junge namens Francia war noch keine 15 Jahre alt. Ein anderer aus Guastalla war siebzehn, der lebt noch. Die anderen waren um die 20, 21 Jahre alt, alle so 20, 22, 23. Einer von uns war 28 Jahre alt, er war verheiratet und hatte ein einjähriges Kind. Seine Frau wurde verhaftet, sie folterten und vergewaltigten sie. Da kann man einige Taten in der Nachkriegszeit auch verstehen. Für die Grausamkeiten der Deutschen und der Faschisten hat sich manch einer gerächt. Ich war nie damit einverstanden Vergeltung zu üben. Mit dem Ende des Krieges war alles vorbei, das war erledigt. Versetzen wir uns aber mal in die Lage der Partisanen oder Zivilisten, die solche Gewalt erlitten hatten. Es ist schwer deinen Peiniger zu streicheln, wenn du ihn in so einem Moment wiedersiehst. müssen wir verstehen, was während des Kriegs passiert ist. Diese Grausamkeiten haben auch uns verdorben. Diese Massaker und Gewalttätigkeiten waren auch für uns schrecklich. Ich kam aber aus der "Azione Cattolica", ich war immer dafür zu Vergeben und so weiter. Aber - oh - das war auch für mich hart.
Fernando Cavazzini (1923 - 2016)
Kampfname
Tony
Widerstand
1943 - 1945: Reggio Emilia (Italien)
Armed Resistance, Partisan
Widerstandsgruppen
26° Brigata Garibaldi
Download transcript (PDF format)
English translation
Original interview language (Italienisch)