Mein Name ist Erwin Schulz. Ich bin am 13. Oktober 1912 in (Berlin) Tempelhof geboren. Meine Mutter, die hatte es natürlich während des Krieges sehr schwer gehabt. 1915 ist meine Schwester geboren. Und besonders schwierig wurde es ja (mein Vater war ja eingezogen, als Soldat), 1917 in dem Kohlrübenwinter, wo die Ernährungslage für die deutsche Bevölkerung immer schwieriger wurde. Ich kam 1919 zur Schule. Die Schule war nicht weit entfernt von unserer elterlichen Wohnung und Vorbildwirkungen die entwickelten sich später – nicht - mit zunehmendem Alter. Von den Lehrern, die ich da hatte, als Vorbild – war keiner, gab’s nicht. Das waren ja auch teilweise Lehrer, die demobilisiert wurden von der kaiserlichen Armee, und die im Schuldienst eingesetzt wurden; wie z.B. der Turnlehrer oder der Religionslehrer – nicht - die keine pädagogischen Fähigkeiten hatten. Und typisch ist in der Zeit, das wir hatten noch einen Lehrer so’n richtiger Prügelheld. Wenn die Stunde begann, haben erst zwei, drei Dresche gekriegt, mit dem Rohrstock. Also das war schon so typisch, wenn der kam. Und so vielleicht noch eine Sache: Ich war ja auch unterernährt und bekam damals "Quäkerspeisung". Das war von den Vereinigten Staaten, von der Quäkerorganisation, und da bekam ich einen halben Liter Milchsuppe und ein Brötchen. Wir müssen ja sehen, das war 1920/21 wo noch eigentlich in der Nachkriegszeit sich auch viele Probleme ergaben.
Wann mein Vater nach Hause gekommen ist kann ich nicht sagen. Wenn da Soldaten, die demobilisiert wurden, bei uns durch Tempelhof zogen, bin ich immer hingerannt, aber meinen Vater habe ich dabei nie gesehen. Eine Sache die noch gerade in diese Zeit fällt: 1923, die Inflation. Da hat meine Schwester vor’m Bäckerladen gestanden, ich beim Fleischer und haben dann gewartet, bis mein Vater von der Arbeit kam, und der hatte einen Rucksack voller Geld. Und da hat er uns denn Pakete gegeben, und da haben wir dann Brot bezahlt oder ein halbes Pfund Wurst oder ein Pfund Fleisch das Geld war ja dann am anderen Tag wieder wertlos und in dieser Zeit verarmten ja viele. Viele hatten auch während des Krieges Kriegsanleihe bezahlt, und die wurde ungültig – war nichts mehr wert. Also, wer keine Sachgüter hatte, der hat alles verloren. 1927 bin ich aus der 8. Klasse oder der 1. Klasse, ich weiß nicht wie damals die Klasse war, entlassen worden, Da bemühte ich mich um eine Lehrstelle. Hab keine Lehrstelle 1927 bekommen, obgleich ich auch gute Zeugnisse hatte. Auch in dieser Zeit war es ja schon so, Ein vierzehnjähriger oder ein siebzehn-, achtzehnjähriger der hat ja andere körperliche Kräfte. Also, ich wollte da Schriftsetzer werden. Mein Onkel hat sich auch darum bemüht – abgelehnt. Dann hat ein anderer Onkel gesagt: „Na, dann wirst du Maurer - auch nichts. Mein Vater war Schlosser – auch nichts. Also, alle Bemühungen sind sozusagen fehlgeschlagen. Und dann fing ich an bei der Firma 'Jonas' als jugendlicher Angestellter. Ich war dann in der Zeit ein besserer Laufbursche. Für ’ne gewisse Zeit. Das war 1927. Ich bin zu dieser Zeit auch eingetreten in die Gewerkschaft, Und die Zentrale war auch in demselben Haus. Das führte dann nachher später auch in der Zeit dazu, daß ich wegen einer gewerkschaftlichen Tätigkeit doch entlassen wurde.
1922 bin ich in den Arbeitersportverein "Fichte" eingetreten. Und die nachfolgenden Jahre, wir haben zweimal in der Woche geturnt. Haben dort auch den Einfluß ausgeübt. Meine Schwester war auch in "Fichte" und da bin ich da auch eingetreten. In meiner Klasse war ich dann der Einzige. Da waren ja meistens so reaktionäre Lehrer. Der hatte mit Fichte nichts im Sinn gehabt. Und hier in "Fichte" fühlte ich mich wohl. Es war schön als Kind, dort mit anderen, die im ähnlichen Alter waren zusammen zu sein - zu toben. Sonntags hatten wir manchmal so Ausflüge gemacht, in die nähere Umgebung Berlins. Da fühlte man sich geborgen. Da fühlte man sich eben geborgen, bzw. im Kreis von gleichaltrigen unter guten Leitung von Älteren, die uns auf viele Dinge, wenn wir wanderten, hingewiesen haben, und das war etwas, was einen so besonders auch beeindruckte. Die Arbeitersportbewegung ist ja schon im vorhergehenden Jahrhundert gegründet worden, als Gegenorganisation gegen die bürgerliche Sportbewegung oder Turnbewegung, die ins chauvinistische ging. Und aus dieser Zeit ist auch die Bildung der Arbeitersportbewegung entstanden.
Auf eine andere Sache, die wesentlich meiner Einstellung besonders förderte. Das war 1929 glaube ich, da kam das Buch raus von dem Remarque, im "Westen nichts Neues". Und dieses Buch wurde von den organisierten Jugendlichen in der Gewerkschaft, in der SAJ (in der sozialistischen Arbeiterjugend) oder kommunistischen Arbeiterjugend oder von den Arbeitersportlern, das wurde gelesen. Und hat dazu beigetragen Ältere, die ja im ersten Weltkrieg teilgenommen hatten; die mussten auf unseren Jugendheimabenden berichten. "Wie war es in Verdun, oder wo anders?" Eure Erlebnisse! Das hat viele Jugendliche zu Antikriegsgegnern gemacht. Da ja die SA den Film versuchte zu verhindern oder haben ihn auch verhindert. Das hat den Kampf gegen die faschistische Gefahr gestärkt, die sich im Laufe der Jahre da ergab. Das ergab etwas, ich kann es von mir sagen, das mich im Leben weiter begleitete - gegen Krieg und auch gegen den Faschismus.
Damals haben die Kommunisten die Losung rausgegeben: “Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler und wer Hitler wählt, wählt den Krieg.” Vielleicht noch eine Sache. Die Weltwirtschaftskrise wirkte sich ja aus in Deutschland wir hatten ja mehr als 6 Millionen Arbeitslose. Bei den Betrieben waren ja Schilder dran: "Wir stellen keinen ein!" Heute macht man solche Schilder nicht ran. Also so ändert sich auch einiges. Und die Unruhe, Jugendliche vor allen Dingen, die keine Arbeit hatten und das führte dann nachher auch zu Radikalisierungen. Es gab ja in dieser Zeit auch viele Morde politische Gegner wurden ermordet. Wir haben sowas auch erlebt. Wir waren mal unterwegs, sind wir auch mal von SA Leuten überfallen worden. Auch dann ein anderes Beispiel: Wir hatten 1932 mit den Kindern von Fichte eine Ferienreise gemacht nach der Ostsee In dieser Zeit wurde ein Ferienlager von SA überfallen - Den Kinderfreunden, das war von der Sozialdemokratie. Da sind Kinder und Erwachsene auch verletzt worden bei dem Überfall. Wir sollten auch überfallen werden, aber wir haben unsere Zeit als Lager trotzdem bis zu Ende geführt. Wir hatten Unterstützung bekommen von einer Arbeiterorganisation aus einem Ort Und ein Glück das da kein Überfall kam. Wer weiß was das für ein Prozess geworden wäre. Hitler, dem wird durch Hindenburg die Macht übertragen. Und die Arbeiterbewegung war so gespalten, daß keine einheitliche Gegenwehr zustande kam. Protestdemonstrationen gab es da auch eine Menge. Führte dann nachher auch noch zu dieser Provokation "Reichstagsbrand" nach dem viele verhaftet wurden, es war vieles vorbereitet. Große Verhaftungswellen der Arbeiterfunktionäre.
Wir hatten uns ja auch darauf vorbereitet: wir werden verboten werden. Wir werden irgendeinen Weg finden, wie wir da weiter existieren können. Und hatten die Mitglieder (nicht alle unsere Mitglieder) damals so in Fünfer-Gruppen aufgeteilt; und einer hatte mehrere Fünfer-Gruppen, und dann später haben wir das auf Dreier-Gruppen gemacht. Weil das übersichtlicher wurde und die Zusammenkünfte … nicht einer mehr so viele kannte, wer da noch mit illegal tätig war. Wir wurden ja da auch verboten - ‚Fichte’. Und die weitere Tätigkeit war ja illegal. Wir hatten nachher die Leitung von Tempelhof von ‚Fichte’, bei uns in der Wohnung solche Musikzirkel. Meine Schwester spielte Geige und wir spielten Mandoline. Im Hause freuten sie sich: „Oh, da sind die Musikanten wieder da.“ Und dort entwarfen wir Flugblätter und organisierten auch die Arbeit, die Zusammenkünfte und all diese Probleme, die sich daraus ergaben. Vielleicht noch eins: Vor dem 1. Mai 1933 rief die Gewerkschaftsführung, also vom allgemeinen deutschen Gewerkschaftsbund, auf die Arbeiter sollten am 1. Mai auch zum Tempelhofer Feld gehen. Das war so ein Fall, daß die meisten Gewerkschaftler als ein Verrat empfanden … Wir sind mit den Rädern rausgefahren am 30. April und haben unsere Maifeier da draußen gemacht. Und sind dann zurückgekommen – vielleicht auch so eine typische Sache. Irgendwo am Samnitzsee sind wir eingekehrt, haben da was getrunken und gesungen. Und das gefiel den Leuten so. Und da sagte einer: “Du, ich gehe mal sammeln.“ Und das Geld, was wir dort gesammelt hatten, haben wir verwendet für die ‚Rote Hilfe’. So konnte man manchmal auch auf eine bestimmte Art und Weise was finanzieren. SA Leute haben da auch Geld gegeben, die gerade von der Ostsee kamen.
Ich glaube wir sind auch in Ketten durch Luckau, vom Bahnhof, gelaufen. und hinter uns schlossen sich die Tore. Wir wurden dort eingekleidet, bekamen die Zuchthauskleidung. Unsere Privatsachen wurden uns alle abgenommen. Da kamen wir in eine Zelle so zwei mal vier Meter, mit drei Mann. Da sollte in den nächsten Monaten und Jahren sich unser weiteres Leben abspielen. Luckau als Zuchthaus war überbelegt. In Einmannzellen waren drei Mann drin. Wie es in den großen Zellen war, weiß ich nicht. Wir waren ja isoliert. Aus der Zelle kamen wir ja nur raus in der Freistunde - eine halbe Stunde. Da mußten wir Abstand waren zu anderen. Durften nicht sprechen. Unterm Fenster ein Bett, das andere Bett war and der Wand hochgeklappt. Und der dritte Mann der lag unten auf dem Fußboden auf Matratzen. So lebten wir dort in der Zelle. Die Notdurft mußten wir in der Zelle verrichten. In der ersten Zeit hatten wir keine Arbeit. Nachher hatte man uns Arbeit gegeben. Da mußten wir Jutefasern aufknüpfen, oder aufwinden. Von den Erntemaschinen, die hatten ja automatisch gebunden, die Garben. Diese Jute mußten wir aufknüpfen. Da war ewig Dreck in der Zelle. Wir mußten nachher auch abends unsere Zuchthauskleidung und die Schuhe rauslegen, die waren dann vor der Zelle draußen. Die hatten Angst das wir fliehen, oder weiß ich. Post bekam ich von meiner Schwester. Sie grüßte von den Eltern, und behandelte oft so wissenschaftliche Themen die anregten zur Diskussion. Wir waren ja drei Mann. Die anderen beiden waren auch aus dem Sportprozess. Später habe ich auch die Genehmigung bekommen Debattenschrift / Steno zu lernen. aber zum Üben hatten wir nur ne Schiefertafel. Debattenschrift auf der Schiefertafel war natürlich eine Illusion Aber da hab ich das gelernt.
Als wir dort hinkamen und ausgeladen wurden, da sagte der Justitzwachtmeister, der uns begleitetete: "Ach die armen Jungs." Der wußte was im Moor los ist. Wir wurden dann an die SA übergeben. Da gings schon los die Schreierei: "Linksrum, wer aus der Reihe tritt wird sofort erschossen. So ging das nach "Börgermoor". Wir sind dann mit solcher Brigardebahn, das war eine Schmalspurbahn, hingefahren worden. Wir wurden dort neu eingekleidet. und der Kammerbulle, das war auch ein SA Mann, der fragte dann: "Weshalb bist du denn hier?" Ich sage: "Wegen Sport." Ich war ja im Sportprozess. "Ach, dann mach mal gleich 25 Süße." Das waren 25 Kniebeugen. Die hab ich dann gemacht, das war ja in der Zeit auch kein Problem. "Na, hast du das gut gemacht?" Ich sage: "Ich hoffe, Herr Wachtmeister." "Na, dann mach nochmal deine Runde." Dann haben die uns die Lederschuhe abgenommen, haben wir diese Holzschuhe bekommen. So wie die Holländer sind. Und dann hat man uns Fußlappen hingeschmissen und diese Holzschuhe. Und dann mußten wir wieder antreten. "Wir haben ja auch einen schönen Sportplatz und den wollen wir euch mal zeigen. Da könnt ihr dann auch Sport machen." Und auf dem Sportplatz hat man uns dann so rumgejagt. Gruppenkniebeugen, Dauerlauf und misshandelt wurden wir auch, mit Kolbenschlägen von der SA-Bewachung. Wir mussten nachher über eine Eskaladierwand – die ist 2 Meter hoch. Einige kamen nicht ’rüber, da waren ja auch Ältere bei, die auch schon jahrelang eingesperrt waren. Die hatten ja keine Luft mehr bekommen. Na ja, dann: „Freiwillige vor“, wir sind drüber, wir Jüngeren.
Ich glaube, wir wurden so um sechs geweckt. Da ging dann alles im Galopptempo – nicht: Betten machen, waschen, auf Toilette gehen, das war hinten in irgend so einer Baracke. Da wurde dann nachher das Essen ausgeteilt. Wir bekamen einen halben Liter Suppe, und die Tagesration Brot, ein bisschen Fett, Marmelade, Schwarzbrot und Weißbrot, das war dann auch so gemischt. Und dann war Zählappell – nicht - das ging alles sozusagen im Galopp. Dann ging es raus zur Arbeit, dann mussten wir antreten. Ich bin dann größtenteils zu dem Kuhlenkommando gekommen. Da waren so zirka 500 Gefangene, und da wurde wieder gezählt. Gezählt wurden wir am Tag X-Mal. Wenn wir da waren, nachher im Moor, auf dem Gelände, wo wir arbeiteten, da wurden wir gezählt, und ringsum war dann die Postenkette. Da und dort saß einer, damit die einen Überblick hatten. Nach dem Tag, abends, sind wir dann wieder eingerückt; ich glaube so gegen 17.00 Uhr. Dann wurden wir auch wieder gezählt, ob alle wieder zurückkamen. Danach ging’s dann wieder auf die Baracke. Das ging dann alles - da bist du dann immer gerannt, hast das Abendbrot bekommen. Das waren manchmal so Eintopfgerichte, Peluschken, das waren solche großen Bohnen, die mancher ja gar nicht vertragen hat. Oder dann noch so Gemüse – all so was. Und das Schlimme war, wenn sie wieder während der Zeit, wo das Essen ausgeteilt wurde, Appell hatten; Zählappell – musstest du raus. Dann ist das Essen kalt geworden, und das Essen hat schon so nicht geschmeckt! Und nun das kalte Essen. Ja, das musstest Du essen, damit man etwas wieder zu sich nimmt.
1940, im Januar, kam ich auf Transport. Entlassen wurde ich ja nicht. Das war jetzt so in der Kriegszeit so üblich, dass viele eben nicht dann entlassen wurden. Es ging dann über Hannover, dort war ich ein paar Tage, und dann nach Berlin. Und bei der Gestapo – wieder neue Vernehmungen. Und meine Schwester, die wusste ja nun, dass ich auch nach Berlin kam. Die ist dann täglich hingegangen: „Wann lassen sie meinen Bruder frei?“ Und nur – ich behaupte das auch: Wenn meine Schwester sich nicht so eingesetzt hätte, wäre ich auch nicht mehr rausgekommen. Nun, muß man andererseits auch sehen, hatte ich ja auch Polizeiaufsicht, fünf Jahre - das war ja im Urteil mit drin. Jeden Tag hätten sie einen wieder greifen können. Man kam ja aus Deutschland nicht raus. Ein Freund besorgte mir Arbeit, mit dem ich illegal zusammen gearbeitet hatte. Einer aus der Musikgruppe. Vielleicht noch etwas: Es gab ja alles auf Karten. Und als ich rauskam, da hatten Freunde oder Genossen, mit denen ich zusammengearbeitet hatte, oder die mich kannten, die hatten gesammelt: Butter, einer hatte wohl mal ein Hühnchen geschlachtet. Man wurde also gleich … Hat man geholfen – nicht - damit der, der da aus der Haft kam - na ja, einen würdigen Empfang hat - nicht Wir konnten ja kein Fest feiern, wenn der rauskam, aber da hat man dann so die Unterstützung gegeben.
Gemustert wurde ich ja schon in Aschendorfer Moor. Und da haben wir einen Wehrausschließungsschein bekommen; waren also wehrunwürdig. Zuchthäusler und Politische, die waren alle wehrunwürdig. Und 41/42 wurden wir noch mal gemustert, Und das hängt ja auch zusammen mit den ungeheuren Verlusten an der Ostfront. Die brauchten ja jetzt Menschenmaterial. Und da ist dann so ein Führererlaß – oder was das war – nicht - wurden die eingezogen. Ein Kollege, der auch in dem Betrieb arbeitete, Erwin, der hat Steigeisen gebaut, der war im Werkzeugbau, konnte alles so was. Ich hab ein Seil besorgt und da haben wir diese Tour gemacht. Das war auch ein großes Erlebnis, viele hatten immer wieder gesagt: "Erwin, mach das, wenn der Krieg zu Ende ist." Ich sagte: "Was man hat, hat man." Ich wäre nicht wieder dazu gekommen, auf den Großglockner so eine Bergtour zu machen. Aber ich will nicht weiter über die Bergtour reden... Aber die Einberufung ... wir mussten uns melden, ich glaube, das war auch hier in Kreuzberg irgendwo. Und da wurde ich und noch so’n anderer zurückgestellt. Und haben da den Auftrag bekommen: morgen oder übermorgen sollten wir mit der Bahn nach Heuberg kommen. Die anderen, wir waren eben zwei Überfällige, Überzählige – nicht - die da den Tag wegkamen. Und da habe ich dann auch dessen Frau kennen gelernt – von Otto Linke. Der war früher auch in der SAP (Sozialistische Arbeiterpartei), und da hatte ich dann schnell Kontakt gehabt zu einem. Wir sind ja da dann nach dem Heuberg gefahren. Das ist unten in Württemberg, wo das Ausbildungslager ist. Hat man Kontakt gehabt. Und da vielleicht so was, das man so nie vergessen kann: In der Manschaftsbaracke war auch ein „Bibelforscher“. Der lehnte ja ab, die Waffe zu übernehmen. Heute Abend sitzt man mit ihm noch zusammen, nachts wird er zum Tode verurteilt. Am anderen Tag muß die Kompanie antreten und dann mussten wir zusehen, wie der am Marterpfahl ermordet wurde. „So geht’s euch auch!“ sagte unser Kompaniechef oder Kompanieführer, „wenn ihr nicht das macht, was angeordnet wird.“ Das war so gleich der erste Eindruck.
Der Sinn war: die Politischen, die jetzt wehrunwürdig waren, die lebten in Deutschland. Und die Deutschen, die starben an allen möglichen Fronten. Nun fehlte ja mit der Zeit Mannschaftspersonal. Da war dann die Idee, die aufzubauen, als Himmelfahrtskommando, die man reinwirft. Deshalb waren wir ja auch militärisch so ausgerüstet. Wir konnten als selbständige Einheit Gegenstöße der Alliierten auffangen. Und wenn wir zurückgegangen wären, hätten sie uns von hinten auch zusammengeschossen. Also, das waren regelrechte Himmelfahrtskommandos. Das war so bei denen die Grundidee gewesen – nicht -. Also, so war das für die größeren Einheiten, für Divisionen, gedacht. Und so war ja auch dann der Einsatz. Typisch: unser Einsatz an einem Hang, wo wir nach dem ersten Schuss von der amerikanischen Artillerie zusammengeschossen worden wären. Keiner hätte überlebt. So war dann auch der militärische Einsatz von vielen Frontabschnitten. Da gibt es ja auch Literatur drüber. Das war das Prinzip: Vernichtung der Politischen, die sollten im Krieg zu Grunde gehen und nicht überleben. Die Kompanien waren ja so zusammengestellt: ein Drittel Politische, ein Drittel Kriminelle und ein Drittel Offiziere, Unteroffiziere und Gefreite, die zum großen Teil Nazis waren. So war die Zusammensetzung. Ich habe so was jedenfalls in der Zeit, sofern man auch dann Politische nicht so kannte - man musste ja sehr vorsichtig sein. Irgendwelche Äußerungen oder Gedanken – da ist man schnell erschossen worden. Manche kannten sich. Sie waren zusammen im Zuchthaus - haben sich jetzt wiedergetroffen nach vielen Jahren. Nun wußte man ja nun nicht, einer der 34 35 36 eingesperrt war, wie denkt er. Es war 40, 42 Man hat mit der Zeit Kontakte zu den Politischen. Man merkte das schon. Wir waren alle Politische. Das hatten wir dann schon so’n bisschen arrangiert – nicht – das da kein anderer dazu kam. Das spielte dann ja auch da ’ne Rolle. Die Ausbildung: Wir hatten doch, wie gesagt, keinen Ausgang. Ausgang hatten wir wohl nachher, als wir nach Belgien kamen. Da ist dann ein Unteroffizier mitgelaufen, mit 3 oder 5 Mann, der musste aufpassen, wenn einer da oder dort dann wohl mit anderen Leuten dann ins Gespräch kommt. Aber in Belgien - wir waren ja nicht die ersten, die dort hinkamen war bekannt, dass bei dieser Strafdivision 999 viele politische Häftlinge bei waren. Das war da schon bekannt. Das ging auch nachher nach Frankreich und wohl auch nach Italien.
Wir kamen dann nach Neapel. Dort ist dann ein Schiff, das als Lazarettschiff deklariert war (mit ’nem roten Kreuz drauf) die hatten Munition transportiert. Das ist durch Widerstandskämpfer aus Italien zur Kenntnis gekommen, und das Schiff ist bombardiert worden. Und da mussten wir dann die Verwundeten ins Krankenhaus bringen. Also solche Dinge gab’s ja: Schiffe, als Lazarettschiff deklariert, und Munition wurde damit transportiert. Von Neapel sind wir dann mit der U52 nach Tunesien geflogen, die Maschine dicht über’m Meeresspiegel - die ist ja nicht hochgegangen - kamen wir rüber. Also von dem Verband, der vor uns geflogen ist, da sind einige Maschinen abgeschossen worden. Die sind alle elendig ertrunken, im Mittelmeer. Rettung war ja da nicht möglich. Wir haben Glück gehabt, als wir da rüber kamen nach Tunesien. Auf dem Feldflughafen: „Was wollt ihr denn noch hier?“ Viele Leute oder viele Soldaten, die jetzt zurückströmten. Höhere Einheiten – hier waren ja auch Rommel und so was. Das war ja dann März. Ab Anfang April so was - die Rommel-Armee, die hatte sich ja auch schon weit zurückgezogen-. Na ja, jedenfalls wir … Und da kam auch solche Stimmung auf und unser Feldwebel, ein eingefleischter Nazi, der sagte: „Denkt nicht, hier ist es so wie 1918! Wer hier aus der Reihe tanzt, der wird sofort umgelegt.“ Also so versuchte er seine Befehlsgewalt auch gleich fest in die Hand zu bekommen. Wir waren erst in einer Kaserne in Tunis. Da hatten wir Torwache. Da wurden Strafversetzte dazu eingeteilt, da waren wir auch mit bei. Und in Kairouan, da ist die Front zum Stillstand gekommen. Und wir dachten: ‚Na ja, wenn die Amerikaner jetzt weiter kommen, dann übergeben wir denen die Kaserne. Einen Widerstand werden wir dann schon verhindern können.’ Aber daraus ist nichts geworden. Wir sind dann nachher eingesetzt worden, in den Bergen. Granatwerfer, die schießen ja aus dem Hinterhalt. Und wir wurden eingesetzt auf ’nem Plateau, wo der Amerikaner mit direktem Beschuss uns sehen konnte. Also, ein regelrechtes Himmelfahrtskommando waren wir. Hätten wir da geschossen, wären wir auch gleich da eben so bombardiert worden – hätten nicht überlebt. Und wir haben dann unseren Granatwerfer dort hingestellt und dann so 20 m weiter, oder ich weiß nicht mehr wie viel, sagt er: „Hier bauen wir uns jetzt das so, dass wir uns vor direktem Beschuss so etwas schützen können.“ Und wir haben einen Schuss abgegeben und unseren Granatwerfer, den haben sie völlig zerschossen. Also, das war Himmelfahrtskommando. Man wollte uns vernichten. Na ja, wir sind dann nachher zurückgezogen. Und da hatte ich dann mit einigen anderen gesprochen: „Wir müssen uns jetzt absetzen.“ Aber - also man muß auch die Zeit sehen - das war Ende April. Und am 10. Mai, oder so was, kapitulierten die auch. Da waren dann noch Bedenken: „Dann informieren sie die ja nach Deutschland: Der ist desertiert.“ Ich sagte: „Das ist doch alles Quatsch. Da haben die doch gar keine Zeit mehr für.“ Aber deshalb bin ich dann eben bei dem Otto Linke – mit dem in Gefangenschaft gegangen. Und zwar, glaube ich, am 30. April. Ich sage: „Otto, ab 1. Mai bleiben wir in den Bergen, als freie Menschen.“ Und dann am 02. Mai wir sind dann in Gefangenschaft gegangen wurden wir von Marokkanern gefangen genommen. Jedenfalls wurden wir dann da den Franzosen übergeben und dann kamen wir nachher zu den Engländern, und dann später zu den Amerikanern
Wir waren dann schon mal verschifft – auf’m Schiff. Sollten dann nachher vom Mittelmeer weiter fahren. Dann kamen wir wieder zurück und sind dann nachher - das weiß ich nicht, wie die Vereinbarungen zwischen den Alliierten waren - den Amerikanern übergeben worden. Und sind nach Casablanca mit dem Zug durch ganz Marokko gefahren. Casablanca liegt ja ziemlich tief unten. Also, von der amerikanischen Armee wurden wir nicht besser behandelt. Was mir erst viel später so auch in Erinnerung kam: Offiziere konnten wahrscheinlich auch gar nicht solche Dinge aus ihrem ganzen Bewusstsein verstehen, dass Soldaten, die bei der Hitler-Armee gekämpft hatten, sich gegen die Hitler-Armee wandten. Dieses Problem der Auseinandersetzung Faschismus/Antifaschismus, das war für die Offiziere ein Ding, was sie nicht verstanden haben. Das hat man in der ersten Zeit. Später, zum Schluß, haben sie nachher einige andere Auffassungen gehabt. Nachdem ihnen bekannt wurde: die Konzentrationslager, was dort mit den Menschen gemacht wurde, wie die umgebracht wurden, und beseitigt. Auschwitz ist ja dann erst von der sowjetischen Armee, von der Roten Armee, befreit worden. Da ist ja dann solch Austausch gekommen, und da hat sich zumindest … Bei manchen ist das mehr zum Bewusstsein gekommen, dass welche gegen „ihr Land“, wie man dann sagte, oder, dagegen kämpften – ja. Da bin ich dann später weggekommen zurück nach Fort Devons. Ich hab dann da in Fort Devens das Kriegsende mitgemacht. Dort hatten wir dann auch die Zeitschrift ‚German-American’, die herausgegeben wurde von immigrierten Gewerkschaftlern und politischen Immigranten. ‚German-American’, also die war Deutsch und Englisch. Die kam in unser Lager. Vorher, in McCain , da ist die nicht ins Lager gekommen. Also jetzt, gegen Ende des Krieges, änderte sich ja viel. Man konnte die kaufen, die Zeitung. Wir hatten dann auch Kontakte zu den Herausgebern, die waren dann illegal – nicht – weil dann die Kommandos im Motorpool arbeiteten, wo dann auch fortschrittliche Amerikaner uns wieder halfen, bei der Information. Also, das ist noch’n besonderes Kapitel, was man da behandeln könnte. Jedenfalls entwickelte sich dort ein politisches und kulturelles Leben. Die Amerikaner haben ja auch Aufnahmen gemacht, von ‚Buchenwald’, über die Leichenberge, die sie dort vorgefunden haben, und die Verhältnisse. Die Filme wurden gezeigt in USA, und da mussten sich alle Kriegsgefangenen die Filme ansehen. Nun zur Entlassung: Wir sind danach ja nach Belgien transportiert worden. In Belgien fanden wir dieselben Verhältnisse vor wie damals in Aliceville, als wir da in dem ersten Gefangenenlager waren. Kurz bevor ich entlassen wurde – da kommen ja immer die Unterlagen, wenn so welche verlegt werden, in ein anderes Lager. Und da ist ein Kamerad, Fritz Fiedkau, der deklariert war (in den Unterlagen) als SS-Mann. Man hatte also in dem Lager, wo er vorher war, die Unterlagen getauscht, in der Beurteilung. – Nicht – aus dem Antifaschisten hat man ’nen SS-Mann gemacht. Und ein SS-Mann, der ist als Antifaschist schon nach Hause gekommen. Das habe ich dann nachher später weitergegeben. Und wir kamen dann rüber nach Munsterlager, da waren auch wieder dieselben Verhältnisse, Unteroffiziere, Feldwebel und so was, die hatten die Herrschaft in dem Lager. „Lasst euch nicht nach Osten entlassen!“ und auch so viele Dinge, was da war. Jedenfalls kam ich, das war dann Oktober 46, mit ’nem Transport nach West-Berlin. Ich wohnte ja früher in West-Berlin. Und so bin ich dann 1946 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen. Meine Eltern wohnten woanders, die waren ja ausgebombt worden. Und nun begann das neue Leben nach diesen Ereignissen, die man so im Laufe der Jahre mitgemacht hat.
Als ich dann nach Hause kam, ich bin damals dann in (ich war ja früher politisch nicht organisiert) bin da in die SED eingetreten – nicht – das war ja die Vereinigung von Sozialdemokraten, Kommunisten, vielen Parteilosen. Habe dann nachher auch zeitweise im Ministerium gearbeitet, war auch zeitweise 2. Sekretär in Tempelhof bei der SED, später auch Parteisekretär in Johannisthal in einem Betrieb. Und als letzte Bemerkung: Ich hab mich dann auch besonders nach 89/90 hier interessiert für - da waren solche Moorsoldatentreffen. Ich habe da auch viel vermittelt, dass Moorsoldaten Interviews geben konnten, aus Köpenick. Hab mit denen gute Kontakte, bin jedes Jahr hingefahren, dort. Habe an den Treffen teilgenommen: Gegen Krieg und gegen den Faschismus. Und das ist die Schlussfolgerung: Der Krieg ist was Furchtbares! Der bringt nicht nur für die Soldaten, sondern auch für die Bevölkerung viele furchtbare Zustände. Und gegen den Faschismus und dann jetzt auch die Neonazis muß man sich wenden, um ähnliche Verhältnisse, die die anstreben, verhindern zu können. Das wäre auch vielleicht gleich noch so das Schlusswort, wenn sie nicht noch irgendwelche andere Fragen hätten: Also diese Schlussfolgerung, die ist nicht nur jetzt in den letzten Jahren entstanden, sondern damit lebte man auch schon in der Zeit, wo man eingesperrt war, und dann nachher während des Krieges.
Erwin Schulz (1912 - 2012)
Widerstand
1933 - 1935: Berlin (Deutschland)
Unarmed Resistance
Widerstandsgruppen
Former Sports Group
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