Mein Name ist Pascucci. Ich habe italienische Wurzeln. Ich bin in Italien geboren, in der Gegend von Pesaro, in Sant’Angelo in Lizzola um genau zu sein. Das ist ein sehr schöner kleiner Hügel. Ich hatte als Erwachsener die Gelegenheit meinen Geburtsort zu sehen. Meine Eltern kamen im Rahmen von Verträgen über die Arbeiterschaft nach Frankreich, die Frankreich und Italien nach dem Ersten Weltkrieg unterzeichneten. Diese Verträge gaben italienischen Antifaschisten die Möglichkeit, der Verhaftung zu entkommen und Italien auf legalem Wege zu verlassen. Ich weiß nicht, wann genau mein Vater ausgewandert ist, aber diese Migration fand zwischen 1921 und 1922 statt, denn ich bin 1923 geboren. Als ich sechs Monate alt war, zogen meine Mutter und ich zu meinem Vater nach Frankreich. Seit dem lebe ich in Nanterre. Seit beinahe 83 Jahren. Ja, mein Vater war Kommunist und Antifaschist. Er trat der Kommunistischen Partei Frankreichs bei, sobald er die französische Staatsbürgerschaft erhielt. 1930 beantragte er die Einbürgerung. Ohne diese war es führ ihn schwierig, Arbeit zu finden. Ich ging in der „École de la République“ in Nanterre zur Schule. Die Schule hat mittlerweile Platz für die „Université Paris X“ gemacht. Bis ich 13 Jahre alt war, ging ich in diese Schule und bekam mein „Certificat d’Etudes“. Um meinem Lehrer eine Freude zu machen, machte ich die Aufnahmeprüfung für die weiterführende Schule. Aber das war nicht mein Wunsch. Zu der Zeit wurde mein Bruder geboren, meine Mutter war krank und arbeitete nicht. Wir brauchten of einen Arzt, da sie ein Herzleiden hatte und mein Vater war nur Arbeiter, wir waren also nicht sehr reich. Auf der einen Seite wollte ich durch Arbeiten zum Unterhalt beitragen, auf der anderen Seite wollte ich vor allem frei und unabhängig sein. Also begann ich im Alter von 14 Jahren zu arbeiten. Das war 1937/1938, während der ersten Krise. Ich habe Arbeitslosigkeit erlebt. Da ich keine Ausbildung hatte, tat ich ein bisschen was von allem. Ich arbeitete in einer Spielzeugfabrik und beim Entladen von Frachtkähnen auf der Seine. Man hat sich nicht so angestellt, wenn man Arbeit bekommen konnte. Es war schwierig genug Arbeit zu finden.
Bei den Wahlen von 1935 wurde die reaktionäre Stadtverwaltung von Nanterre durch eine kommunistische Regierung ersetzt. Während des Wahlkampfes gab es Versammlungen in verschiedenen Vierteln. Diese Versammlungen hießen „Le compte rendu des mandats“. Mein Vater nahm mich oft mit. Ich nahm an Versammlungen zur Parlamentswahl teil, bei der Waldeck Rocher gegen den Comte De Fels gewann. Mein Vater nahm mich auch zu meiner ersten Demonstration mit. Sie stand unter dem Motto „Mauer der Genossen“ – in Gedenken an die Pariser Kommune (1870/71). Ich erinnere mich, dort einen Lehrer getroffen zu haben – einen jungen Sozialisten. Ich gehörte zur kommunistischen Jugendbewegung. Ich war bis zum Krieg für die Verteilung der Zeitung „l’Avantgarde“ verantwortlich. Bis die Kommunistische Partei verboten wurde. Die Kommunistische Partei wurde nach dem Nicht-Angriffs-Pakt zwischen Hitler und Stalin (1939) verboten. Der Pakt wurde in der Bevölkerung sehr negativ angesehen und wurde zum Thema der Propaganda der französischen Regierung. Beim Verteilen von Handzetteln wurde ich manchmal von den Arbeitern beschimpft.
Am 3. September 1939 wurde der Krieg erklärt. Mein Vater wurde mobilisiert, da wir jetzt französische Staatsbürger waren. Er wurde in den Osten geschickt. Aber sie hatten nicht einmal Waffen. Leider verlor ich meine Mutter zu der Zeit und mein Vater kehrte zurück, um sich um die Familie zu kümmern. Bis er wieder zu Hause war, kümmerten sich meine Tante und mein Onkel um uns – um meinen Bruder und mich. 1940, als die Gefahr einer deutschen Besatzung immanent war, wollte meine Tante, dass wir nach Südfrankreich gehen. Wir lernten das sogenannte “débacle” – den totalen Zusammenbruch – während unserer Flucht kennen. Wir gingen zu Fuß los. Wir schoben unsere Koffer auf Fahrrädern. In Le Mans holten uns die Deutschen ein. Als die Deutschen vor uns waren, kehrten wir nach Nanterre zurück. Die Stadt war zu der Zeit fast leer. Es war Juli, Nanterre wurde am 14. Juni 1940 besetzt. Es gab nur sehr wenige funktionierende Fabriken. Ich kam wieder in Kontakt mit meinen Kameradinnen der Kommunistischen Jugendbewegung und wir begannen… wie kann ich es am besten beschreiben? Die Leute verstanden es nicht. Sie waren auf einmal gefangen, statt in einem freien Land. Das geschah in weniger als einem Monat. Die Nazis überquerten die französische Grenze am 10. Mai 1940 und am 10. Juni waren sie in Paris. Alle hatten Angst und versuchten weg zu gehen. Wir konnten nicht verstehen, wie in diesem Land der Freiheit, wo wir alles hatten was wir brauchten – ein selbständiges Land (seine Landwirtschaft und seine Industrie) – plötzlich nichts mehr übrig war. Es gab Rationierung, Hunger und Kälte. Wir fanden es wichtig, den Leuten zu erklären, warum wir in dieser Situation waren. Mit dieser Gruppe von jungen Leuten, die wir aus denen bilden konnten, die in Nanterre geblieben oder nach Nanterre zurückgekommen waren produzierten wir Aufkleber mit einer Druckpresse für Kinder. Diese klebten wir dann an die Mauern. Darauf stand z.B.: “Raus mit den Invasoren.” Als wir einen Spiritusdrucker bekommen konnten, begannen wir Flugblätter zu produzieren. Der Widerstand begann sich zu organisieren. Wir waren in Kontakt mit anderen, erfahreneren Kamerad*innen und begannen uns als Union der Patriotischen Jugend zu organisierten. Zu der Zeit hatten wir keine Waffen. Die Region um Paris profitierte noch nicht von Materialabwurf durch die Alliierten. In der Region Paris, im Gegensatz zur Provinz, verlangten die Deutschen, dass alle ihre Waffen an die französische Polizei abgeben, sogar Jagdwaffen. Wir standen vor allem vor dem Problem, den Menschen zu erklären, was passiert war und warum wir uns jetzt in dieser Situation befanden. Es stellte sich die Frage, Flugblätter herzustellen. Das mag heute nicht so besonders klingen, weil die Briefkästen voll damit sind. In Nanterre hatten sich mehrere Widerstandsgruppen formiert. Wir waren die jüngeren der Kommunistischen Jugenbewegung, aber wir waren als Sicherheitsmaßnahme bereits von den Erwachsenen der Kommunistischen Partei getrennt. Manche von ihnen wurden bereits beim Verteilen der Flugblättern verhaftet und verurteilt. Zwei Frauen wurden deportiert. Eine davon starb während der Deportation. Das Verteilen von Flugblättern oder Zeitungen war sehr gefährlich, man riskierte das Leben. Von den Männern wurden mehr als 15 verhaftet. Wir hatten die Gewohnheiten einer klandestinen Organisation noch nicht verinnerlicht. Alle kannten sich. Neun wurden in Mont Valérien erschossen. Acht wurden nach Auschwitz deportiert.
Am Anfang kannten wir uns alle. Als es die ersten Verhaftungen gab, stellte sich die Frage nach anderen Organisationsformen. Das war nichts Spezifisches für Nanterre. Es gab keine Erfahrung mit klandestiner Organisation. Wir bekamen von der Kommunistischen Jugend und dann von der Partei die Anweisung, sich in Dreiecken zu organisieren. Man bildete Gruppen von nur drei Kamerad*innen. Im Falle einer Verhaftung, unter Folter, konnte man nur die Namen von zwei anderen preisgeben. Eine der drei Kamerad*innen war verantwortlich. Dies ergab eine Art Spinnennetz mit diesen Dreiecken auf jeder Ebene. Dies war die Struktur der Kommunistischen Partei im Untergrund, die dann auf die Francs Tireurs und Partisanen übertragen wurde. Wir waren in Regionen und Sektoren strukturiert. Die Regionen waren nummeriert (wir waren in der Region 7). Unser Sektor bestand aus drei bis vier Gemeinden rund um Nanterre. Die Eltern eines Kameraden hatten eine große Garage. Dort gab es einen kleinen Pavillon wo wir unser Material einrichteten. Wir hatten dann einen handbetriebenen Spiritusdrucker. Damit konnten wir Flugblätter produzieren. Unsere Anführer brachten uns Aufrufe zum Widerstand, die wir reproduzieren mussten, damit sie verteilt werden konnten. Sie wurden nachts verteilt, was sehr gefährlich war, denn es gab eine Ausgangssperre von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens. Man durfte nur mit einem speziellen Ausweis der Polizei oder der Deutschen draußen sein. Wenn man darüber nachdenkt, dass heute jede Menge Flugblätter und Werbung in den Briefkästen sind: Damals riskierte man das Leben. Man riskierte Verhaftung, Schläge und Folter, um zum Reden gebracht zu werden. Viele dienten als Geiseln oder wurden einfach erschossen. Das war das Schicksal der Kameraden von denen ich vorher sprach. Einige wurden in Mont Valérien erschossen. Diejenigen die sagen, in dieser Zeit keine Angst gehabt zu haben, sind entweder bewusstlos oder Lügner. Oder sie waren untätig. Sobald man im Widerstand aktiv war, war man ständig in Gefahr, verhaftet zu werden – mit allen Konsequenzen. Bei der Polizei von Puteaux waren sie Experten darin, Gefangene zu schlagen. Heute geht man davon aus, dass die gesamte Bevölkerung Frankreichs während der Besetzung an Hunger litt. Von einer Minderheit abgesehen, die sich die Situation zu Nutzen machte und auf dem Schwarzmarkt handelte. Die Schüler können heute ein Schokoladenbrötchen an der Bäckerei direkt gegenüber der Schule kaufen. Wir hatten damals Anspruch auf so ein kleines Stück Brot pro Tag. Oder 90g Fleisch pro Woche. Man brauchte Lebensmittelmarken oder man war gezwungen, auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Die Nazis haben alles geplündert in Frankreich. Frankreich war ein selbständiges Land mit seiner Landwirtschaft und seiner Industrie. Sie haben die Maschinen mitgenommen, alles.
Man konnte Teil des Widerstands sein und gleichzeitig eine normale Beschäftigung haben. Ich arbeitete in der Simca-Fabrik. Das war eine italienische Firma. Der Direktor, Mr. Picosi, war Italiener. Vor dem Krieg produzierten sie Autos. Während der Besetzung waren wir gezwungen, Achsen für Kettenpanzer zu produzieren. Wir begannen während der Arbeit die Maschinen zu sabotieren. Anfang 1943 verlor Hitler manche Schlachten. Er verlor die Schlacht von Stalingrad und den Afrikafeldzug in Libyen. Er musste seine gesamte männliche Bevölkerung mobilisieren, nachdem er fast ganz Europa besetzt hatte. Er musste seine Kriegsmaschinerie am Laufen halten. Es wurde eine Vereinbarung unterzeichnet zwischen der französischen Pétain-Laval-Regierung und der deutschen Verwaltung, um die sogenannte STO („Pflichtarbeitsdienst“) einzurichten. Anfangs versuchten sie es mit Propaganda. Sie sagten, dass Deutschland für jeden Arbeiter, der nach Deutschland ginge, zehn Kriegsgefangene freikommen würden. Das funktionierte nicht lange, nur wenige meldeten sich freiwillig. Von da an wurden Listen mit den Namen von manchen Arbeitern zu den Fabriken geschickt. Wenn dein Name auf der Liste war, musstest du nach Deutschland gehen zum arbeiten. Eines Tages sah ich meinen Namen auf einer der Listen. Wir sollten uns in Courbevoie einer medizinische Untersuchung durch einen deutschen Major unterziehen. Ich hatte einen Leistenbruch, der mich nicht besonders störte. Aber tat so, als wäre ich unter Schmerzen und ich trug vor, dass mein Doktor sagte, dass ich sofort operiert werden müsse. Der Major antwortete: „Keine Sorge. Wir haben sehr gute Chirurgen in Deutschland, weiter gehen.” Ich nahm Kontakt zu meinen Vorgesetzten auf. Man schickte mich zu den „Maquisards“ (Partisanen) in Corèse. Nach der Ankunft in Brives, sollte ich die Kameraden kontaktieren. Nachdem ich die Demarkationslinie überschritten hatte, konnte ich keinen Kontakt aufnehmen. Die „Maquisards“ waren umstellt, nachdem sie einen Zug der Deutschen mit Deportierten entgleisen ließen. Ich hatte gefälschte Papiere und wurde bereits mehrmals von der Polizei kontrolliert. Ich realisierte, dass die Situation gefährlich wurde. Also ging ich zurück nach Nanterre, wo man mich zum arbeiten in eine Fabrik im Department Marne schickte. Wir produzierten Betonplattformen und eines Tages fuhren wir einen Betonwagen in eine Kaserne der Deutschen. Wir warteten nicht auf unsere Gehälter… Wir gingen sofort zurück nach Nanterre, wo ich im Untergrund blieb. Ich hatte eine kleines Zimmer in einem Keller. Mein Vater wusste nicht, wo ich war. Er dachte ich sei in Deutschland, denn wenn die Nazis und die Pétain-Polzei eine gesuchte Person nicht fanden, würden sie die Familie behelligen. Als ich im Untergrund war, hatten wir nur sehr wenige Waffen – ein paar Revolver. Meine Aufgabe war es, eine bewaffnete Gruppe z organisieren, um Leute zu beschützen, die an öffentlichen Orten Flugblätter verteilten oder Reden hielten. Die einzige erlaubte Unterhaltung zu dieser Zeit war das Kino. Vor dem Film wurden Nachrichten der Nazis, der französischen Polizei oder der französischen Regierung gezeigt. Hier intervenierten wir. Wir besetzten die Projektionskabinen und das Büro des Direktors, sodass er nicht die Polizei rufen konnte. Einer der Kameraden, meistens Louis Meunier stand dann auf und hielt eine Ansprache. Unsere Aufgabe war, für seine Sicherheit zu sorgen. Beim Verteilen von Flugblättern gab es immer ein bewaffnetes Schwadron, um die Kameraden vor der Polizei zu schützen. Nach und nach begann die Bevölkerung selbst mit der Beschützung. Nach und nach hatten wir ein gewisses Maß an Unterstützung in der Bevölkerung. Anfangs gab es Angst. Als wir Flugblätter verteilten zerstreuten sich die Menschen. Später änderten sich die Dinge. Wenn die Polizei kam, formten sie Gruppen, um sie am Vorbeigehen zu hindern. Dadurch konnten wir verschwinden. In Nanterre, wo heute die Universität ist, gab es ein „Luftfahrtlager“, das von den Nazis besetzt wurde. Es wurde genutzt, um Material wie z.B. Teile von abgeschossenen Flugzeugen zu sammeln. Sowjetische Kriegsgefangene arbeiteten dort. Eines Tages ging ein Kamerad ins Krankenhaus, um seine Frau zu besuchen. Er wurde von einem Kriegsgefangenen, der kein französisch sprach, nach einer Zigarette gefragt. Unser Kamerad bat ihn, am nächsten Tag mit anderen Kleidern wieder zu kommen und wir halfen ihm zu fliehen. Es war riskant, aber wir nahmen jeden tag Risiken auf. Der junge Mann auf dem Bild, dass ich Ihnen gezeigt habe, zusammen mit Louis Meunier und mir. Er schloss sich den Maquisards an. Zu unserem großen Bedauern fanden wir nie heraus, was aus ihm wurde. Wir hatten die Möglichkeit, ihm bei der Flucht zu helfen, also taten wir es.
Louis Meunier und ich waren uns sehr nahe. Ich war auch seiner Familie sehr nahe. Wir kannten uns aus der Zeit der Kommunistischen Jugendbewegung. Unsere Gruppe bestand nicht nur aus jungen Kommunisten, sondern auch aus jungen Katholiken oder Personen, die keiner Gruppe angehörten. Sein Tod hat mich enorm getroffen. Am Tag, als er und sein Vater von den Nazis verhaftet wurden, waren wir nur eine Viertelstunde vorher auseinander gegangen. Die Kollaborationsregierung, der Bürgermeister usw., waren bereits von der Résistance verhaftet worden. Wir mussten die Übernahme des Rathauses organisieren und die Einrichtung des Comité de Libération. Das alles passierte am 20. August 1944. Die Deutschen waren immer noch in Nanterre. Louis Meunier, sein Vater und ich trafen uns, um die Sicherheit des Ereignisses zu gewährleisten. Wie gesagt trennten wir uns. Ich traf mich mit Kameraden, mit denen ich nach Pont Neuilly ging, um den alten Bürgermeister von Nanterre zu treffen. Raymond Bardet war in der Résistance. Er war einer der Führer der Résistance der Bahnarbeiter. Wir sollten ihn bei seiner Rückkehr zum Rathaus für das Comité de Libération am nächsten Tag beschützen Also trennten wir uns. Während ich meiner Aufgabe nachging, trafen Louis Meunier und sein Vater einen der Kameraden, die am 14. Juli 1940 verhaftet wurden. Der war gerade befreit worden, weil die Gefängniswärter begannen, die Tore des Gefängnisses zu öffnen und Widerstandskämpfer frei zu lassen. Sie verloren Zeit bei dieser Begegnung. Die letzten Deutschen, die im Luftfahrtlager die Einrichtung sprengten bevor sie gingen, kamen vorbei und verhafteten sie. Sie durchsuchten sie und fanden den Revolver, den ich Louis Meunier gegeben hatte. Er mochte keine Waffen, aber ich hatte ihm eine gegeben und gesagt, dass er sie brauche, um sich verteidigen zu können. Sie fanden auch seine FFI-Armbinde (Forces Françaises à l’Interieur – Organisation der französischen Widerstandsgruppen). Seine Eltern beschuldigten mich nie, aber ich habe mich immer gefragt, ob die Dinge anders gelaufen wären, hätte ich ihm den Revolver nicht gegeben. Ich denke schon. Das war immer eine schwere Last für mich. Ich hätte bei ihnen sein können, hätte es die Mission, den Bürgermeister abzuholen nicht gegeben. Es zeigt, dass das Leben manchmal an einem seidenen Faden hängt. Nur ein bisschen Glück.
Nanterre wurde am nächsten Tag, am 21. August 1944, befreit. Die deutschen Offiziere waren alle nach Mont Valérien geflohen, den einzigen Ort an dem sie sich sicher fühlten. Das Comité de Libération wurde einberufen. Mont Valérien ist ein Fort aus der Zeit vor der Pariser Kommune. Dort wurden Widerstandskämpfer erschossen. Jedes mal wenn die Réstistance Deutsche Truppen angriff. General Stüplinen befahl, dass für jeden getöteten Deutschen 100 Widerstandskämpfer erschossen werden sollten. Wir identifizierten 1015 Leichen von Personen, die zwischen 1941 und 1944 erschossen wurden. Es war ein Ort der Exekution. Die Deutschen konnten sich nicht mehr bewegen, weil alle Straßen dorthin von der Résistance verbarrikadiert waren. Ein paar Deutsche waren in den Pariser Wasserwerken. Sie wollten die Wasserbecken sprengen aber sie wurden gefangen. Es gab also einen Gefangenenaustausch von diesen Deutschen und den Gefangenen den die Deutschen zuletzt noch gemacht hatten, die sie sich aber nicht mehr trauten zu erschießen. So fanden wir heraus was genau mit Louis Meunier geschehen war. Die Nazis in Mont Valérien weigerten sich, sich der Résistance zu ergeben. Einer von ihnen sagte, dass sie sich nur der regulären Armee ergeben würden. Unser Kommandant traf sich mit Colonel Rémy von der Leclerc-Division, der mit seiner Panzerbrigade in Bois de Boulogne einquartiert war. Colonel Rémy fuhr mit einem Panzer zum Fort und die Deutschen ergaben sich. Ich hatte nicht viel Zeit die Befreiung zu genießen. In der Übergangszeit war ich für die Sicherheit von Raymond Barbet zuständig, der einer der Verantwortlichen für die gesamte Résistance der Bahnarbeiter war. Er hatte den Aufstandsstreik der Bahnarbeiter am 10. August 1944 organisiert, der zum landesweiten Aufstand führte. Ich war für seine Sicherheit verantwortlich, da es immer noch Kollaborateure gab und andere Gefahren lauerten. Am 28. August 1944 reiste ich zum Fort. Wir waren militärisch organisiert und ich hatte den Rang des Leutnants der Résistance erhalten. Man gab mir eine Sektion von 50 Widerstandskämpfern. Wir nannten sie Sektion Louis Meunier im Gedenken an Louis Meunier. Was ich bei der Befreiung fühlte? Nun, viel Freude! Es war wie ein großes Fest. Sogar diejenigen, die untätig waren oder vielleicht sogar die Situation ausgenutzt hatten, nannten sich jetzt Widerstandskämpfer. Es war eine große Freude, Frankreich befreit zu haben, auch wenn es noch nicht ganz vorbei war. Elsaß-Lothringen war immer noch besetzt; es gab immer noch die U-Boot-Basis in der Enklave von La Rochelle. Aber es war wirklich eine Befreiung. Wir hatten die Genugtuung zu sagen, dass wir gewonnen hatten. Nicht alle Kameraden aus unserer Gruppe gingen schließlich mit zur Armee. Aber wir verpflichteten uns für die ganze Dauer des Krieges. Ich machte weiter, um Louis zu rächen. Bei seiner Beerdigung hatten wir uns geschworen ihn zu rächen. Das bedeutete, die Nazis bis zum Ende zu bekämpfen.
Ich begann nicht sofort als Zeitzeuge. Auch wenn ich Mitglied der Vereinigung ehemaliger Widerstandskämpfer war, hatte ich andere politische Verantwortlichkeiten. Ich war 1943 in die französische Kommunistische Partei eingetreten, als sie noch im Untergrund war. Ich übernahm ein paar politische Verantwortlichkeiten auf lokaler Ebene. Ich nahm an jährlichen Treffen der ehemaligen Widerstandskämpfer teil aber ich war kein aktives Mitglied. Später, als der Präsident der Vereinigung verstarb, drängten mich Freunde in die Präsidentschaft, indem sie sagten: „Du warst so aktiv während der Résistance. Du warst zusammen mit Louis Meunier verantwortlich für die Befreiung von Nanterre, etc…“ Um Bertolt Brecht zu zitieren: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“. Wir hatten uns noch nicht und haben uns noch nicht ganz vom Faschismus befreit. Deshalb fanden wir es notwendig, zu informieren und zu agieren. In Geschichtsbüchern für Schulen gab es sehr wenig Information über die Zeit: General De Gaulles Rede und die Shoah. Das ist sehr wichtig, aber es reicht nicht, um die Komplexität des Zweiten Weltkriegs zu erklären. Wir wurden von Geschichtslehrern gebeten im Unterricht über unsere Erfahrung zu sprechen. Wir fanden es wichtig, noch mehr zu tun und begannen Klassenfahrten zu verschiedenen Gedenkstätten zu organisieren, den Orten, wo die Naziverbrechen begangen wurden. Wir organisierten Klassenfahrten nach Oradour-sur-Glane, nach Struthof im Elsaß, dem einzigen Nazi-Konzentrationslager in Frankreich. Wir brachten Klassen von drei verschiedenen Schulen nach Auschwitz-Birkenau. Wir wollen den jungen Leuten die Gräueltaten von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, die totale Abwesenheit von Freiheit zeigen. Es gibt mehrere von uns. Ein Kamerad, Lucien Ducastel, wurde nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Wir taten dies auch im Gedenken an unsere Kameraden, die in Auschwitz starben. Es ist heute mehr denn je notwendig, diese Arbeit zu machen, weil es in Europa einen gefährlichen Aufstieg von Faschismus gibt. Erinnern wir uns daran, dass Hitler rechtmäßig an die Macht kam. Heute gibt es einige europäische Länder, die eine rechtsextreme Regierung haben. Es mag anmaßend erscheinen, aber wir glauben, dass wir unsere Arbeit nicht beendet haben. Wir müssen mit jungen Leuten sprechen, sie für die Zukunft leiten, ihnen zeigen, wie wichtig es ist, brüderlich zu sein. Ich beantworte nicht alle Fragen. Wenn sie mich fragen, wie viele Deutsche ich getötet habe, werde ich nicht antworten. Ich denke nicht, dass das interessant ist. Während des Krieges gibt es eine wesentliche Regel: Wenn ich nicht zuerst schieße, wird er mich erschießen. Er hat mir nichts getan und ich habe ihm nichts getan. Ich kenne ihn nicht. Er hat eine Familie; Ich habe auch eine Familie. Warum also töten wir uns gegenseitig? Warum? Weil diejenigen, die sich für den Krieg entscheiden, nicht diejenigen sind, die ihn kämpfen.
Ja, unser Leben war sehr schwierig. Aber wir hatten eine Wahl getroffen. Wir hätten unsere Füße hochlegen und fernsehen können. Aber wir haben diese Wahl nicht getroffen. Ich kann nicht genau erklären warum. Einerseits war es der Erziehung durch meiner Eltern zu verdanken. Als ich alt genug war, erzählten sie mir, was der italienischer Faschismus war. Dann war es dank der Lehrer in der Schule, besonders mein letzter. Ich habe sehr gute Erinnerungen an ihn. Er hat uns die Grundsätze der Loyalität eingeprägt, hat uns gelehrt, was es heißt, Bürger zu sein, jemand zu sein, der Verantwortung übernommen und im Leben gehandelt hat.
Vincent Pascucci (1923 - 2017)
Widerstand
1940 - 1945: Sant’Angelo in Lizzola (Italien)
Armed Resistance
Widerstandsgruppen
Forces unies de la jeunesse patriotique (FUJP), Francs-Tireurs et Particants (FTP)
Download transcript (PDF format)
English translation
Original interview language (Französisch)