Mein Name ist Lorenz Knorr. 1921 in Eger, jetzt Cheb, in den deutsch besiedelten Gebieten der Tschechoslowakei, aufgewachsen. Erlernter Beruf: Schriftsetzer und Buchdrucker. Nach 1945 tätig in der sozialistischen Jugend als Landes- und als Bundessekretär. 25 Jahre lang an der Spitze der deutschen Friedensunion und dann Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Wer in den 20er und in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts in den deutsch besiedelten Gebieten der Tschechoslowakei in einer Arbeiterfunktionärsfamilie aufgewachsen ist, der kam von Kindheit an mit den politischen Problemen, mit den politischen Kämpfen in Bewegung. Mein Vater war vor dem ersten Weltkrieg der bekannteste Streikführer in Eger und nach dem ersten Weltkrieg war er, obwohl nicht mehr arbeitstauglich, immer noch ein Redner auf Gewerkschaftskundgebungen und Versammlungen. Das erlebte der Sohn natürlich mit, denn oft nahmen ihn die Eltern mit zu politischen Veranstaltungen. Besonders natürlich am 1. Mai oder an anderen Festtagen der Arbeiterbewegung. Die prägenden und formenden Eindrücke waren aber das Jahr 1933, als das deutsche Kapital und der deutsche Generalstab der Naziführungsclique die Macht zuschob und 1934 in Österreich als KlerikoFaschistischen heim wehren und die Arbeiterbewegung zusammen kradätschten. Nach unserem Verständnis, dass die Entwicklung der Menschheit von niederen Formen des Zusammenlebens zu immer höheren Formen des Zusammenlebens geht, war das natürlich ein gewaltiger Rückschlag. Denn die deutsche Arbeiterbewegung war die stärkste in der ersten Internationalen und die ideologischste gefestigte und von der österreichischen Arbeiterbewegung konnte man dasselbe sagen. Wir erfuhren bei uns durch die Immigranten nicht nur die dreckigen Schicksale der Antifaschisten, sondern wir erlebten auch die internationalen Wirkungen, dessen was mit dem zivilisatorischen Rückfall 1933 geschah. Bis zu diesem Zeitpunkt war es in der Tschechoslowakei so, dass für die Arbeiterparteien, die Tschechischen und die Deutschen, die Klassenfrage in dem Vordergrund stand, das heißt, der Kampf um bessere, materielle und kulturelle Lebensbedingungen. 1933 hörte das natürlich nicht auf, aber je mehr sich die Nazis, die Hitleranhänger in den deutschen Gebieten der Tschechoslowakei entfalteten, um so mehr kam es zu einer neuen politischen Frontstellung. Auf der einen Seite, den zunehmend aggressiver werdenden Hitleranhängern in den deutschen Gebieten der Tschechoslowakei und auf der anderen Seite die deutschen und die tschechischen Antifaschisten. Es ist also nicht so, wie jetzt oft behauptet wird, es ständen sich die Deutschen und die Tschechen gegenüber. Die nationalistische Betrachtungsweise ist ein verspäteter Versuch abzulenken von den tatsächlichen Problemen, die wir damals hatten.
Diese Vorbereitungen, die wir treffen konnten, bevor der deutsche Faschismus in die deutschen Gebiete der Tschechoslowakei einmarschierte, die waren relevant geworden, nachdem der deutsche Faschismus 1934 den österreichischen Kleriko-Faschismus beseitigte, durch das Naziregime ersetzte und als man das großdeutsche Reich ausrief. Das war am 12. und am 13. März 1938. Seit dieser Zeit wussten wir, dass nächste Opfer wird die Tschechoslowakei sein, das letzte demokratische Bollwerk in Mitteleuropa. Das heißt, wir hatten vom März 1938 bis zum Münchner Abkommen am 29 September 1938 ausreichend Gelegenheit uns auf die illegale Arbeit, auf den antifaschistischen Kampf vorzubereiten. Das unterschied den antifaschistischen Kampf in den deutschen Gebieten der Tschechoslowakei, was man heute Sudetenland nennt, vom Kampf der deutschen und der österreichischen Antifaschisten, die diese Erfahrungen und diese Vorbereitungszeiten nicht hatten. Insofern war die Effektivität unseres Kampfes größer. Es gab nämlich keine Parteiverpflichtungen zum Widerstand, sondern es war eine freiwillige Entscheidung. Ob man sich zur Wehr setzte, ob man das Risiko eingeht, jeden Tag mit einem Fuß im Leben und mit den anderen im Grab zu stehen. Diese Entscheidung musste jeder selbst treffen.
Die Partei, der meine Eltern als Funktionäre angehörten hieß Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakei. Aber der Name täuschte, es war eine sozialistische, eine austromarxistische Partei. Denn unsere Partei gehörte nicht zur ersten Internationalen sondern zur 2 ½ten Internationalen, zur Wiener Internationalen, mit dem Slogan: Keinen sozialdemokratischen Opportunismus und keinen bolschewistischen Dogmatismus. Mit dieser Linie arbeiteten wir, aber es gab natürlich auch in dieser Partei und in dem Jugendverband, der Teil der Partei war, unterschiedliche Positionen. Das zeigt sich insbesondere 1936, als die Volksfrontpolitik relevant wurde, aber die Volksfrontpolitik setzte voraus, dass man mit Kommunisten eng zusammen arbeitete. Die ideologischen Unterschiede waren bekannt. Darum ging es nicht. Wir hatten einen gemeinsamen Gegner, das war der Faschismus We shared the same enemy, which was fascism und der musste gemeinsam bekämpft werden, im Rahmen der Volksfrontpolitik. Wir hatten in Frankreich durch Léon Blum das Beispiel eines Volksfrontsozialisten, Kommunisten und die radikal Sozialisten. Das waren die bürgerlichen Liberalen, die zusammen gegen den Faschismus kämpfen wollten und so war es auch bei uns. Das an der Basis, kein Mensch mehr fragte wo kommst du denn her? Von der KJ, von der Kommunistischen Jugend, oder von der bündischen Jugend? Die Frage war: „Was kannst du tun gegen den Faschismus?“ Weil wir dem Beispiel von Frankreich folgten. Weil wir den Aufruf deutscher Intellektueller von Paris folgten. Mussten jetzt alle trennenden Unterschiede auf der Linken zurück gestellt werden, um Kraft zu bündeln gegen den faschistischen Angriff, der damals ja überall rollte.
Der Faschismus war ein Thema, durch die Erfahrungen, die wir von den Immigranten aufnahmen. Wir haben in unserer Jugendgruppe öfters Immigranten aus Österreich und Deutschland eingeladen, damit sie uns berichteten. Und wir wussten schon vorher, bevor das Großkapital und die Generale der Naziführungsclique sich die Macht zugeschoben haben: Hitler bedeutet Krieg. Das heißt also, wir wuchsen nicht nur hinein in den antifaschistischen Kampf, sondern auch in den Friedenskampf. Das war für uns eine einzige Sache: der antifaschistische Kampf und der Friedenskampf. Das setzte natürlich voraus, dass man aufklärend wirkt. Ich hatte nach meiner Jugendweihe, als ich aus der Schule kam, mein erstes marxistisches Seminar. Das ging dann natürlich weiter und da wurde den jungen Menschen, die sich dafür interessierten das Grundsätzliche beigebracht, was jemanden der in der Arbeiterbewegung Funktionär werden will, wissen muss. Also insofern waren das nicht nur praktische Erfahrungen, die reflektiert wurden, sondern wir hatten auch Seminare mit denen wir lernten uns mit dem politischen Gegner auseinander zu setzen. Es war zum Beispiel damals Pflicht für einen Funktionär der sozialistischen Jugend, Hitlers ‚Mein Kampf’ gelesen zu haben. Warum? Damit wir den Nazifunktionären, die das nicht so gut kannten wie wir sagen konnten, was sind die eigentlichen Ziele. Die glaubten uns ja nicht, dass Hitler Krieg will. Wir hörten immer wieder: „Die sind doch nicht so blöd, dass sie allein gegen die ganze Welt gehen.“ Aber wir konnten zitieren aus ‚Mein Kampf’, dass Eroberung neuen Lebensraumes im Osten ein Hauptpunkt des nazistischen Programms ist. Also wenn wir in der Auseinandersetzung mit den Nazis in Betrieben, in den Schulen, wo auch immer die besseren Argumente hatten, dann hatte es auf die Unentschiedenen auch schon eine Wirkung gehabt. Trotzdem wurden die Nazis stärker und stärker. Einmal durch die Sozialprobleme und andererseits weil der deutsche, der reichs deutsche Rundfunk, einen ungeheueren Einfluss hatte. Viele Deutsche konnten nicht tschechisch, aber die Sender Königs Wusterhausen und Zeesen, die beiden Nazisender, die hörte man sehr gut und diese Einflussnahme in der soziale Probleme als nationale Probleme, fälschlicherweise ausgegeben wurden, haben natürlich gewirkt. Besonders als die Massenarbeitslosigkeit in den deutschen Gebieten wirksam war.
Also natürlich, wir haben zu erst mit den jungen Leuten diskutiert, aber mehr und mehr wurden wir gezwungen auch mit den Erwachsenen zu diskutieren. Es war ja nicht so, dass nur die Jugend sich mit dem Faschismus auseinander gesetzt hätte. Wir wussten ja genau zu unterscheiden, was ist der italienische Faschismus, was ist der schwarze Faschismus in Österreich und was ist der braune Faschismus in Deutschland. Das ist ein Unterschied, das musste man schon kennen und berücksichtigen. Aber wir wurden dadurch auch in die Auseinandersetzungen hineingezwungen, weil es von Anfang an, das ist ein historischer Begriffen, Saalschlachten gab. Die Nazis versuchten zum Beispiel die Veranstaltungen der Antifaschisten zu stürmen oder unmöglich zu machen und die Antifaschisten versuchten ebenso die Veranstaltungen der Nazis unmöglich zu machen. Da gab es natürlich Keilereien und da ich sehr kräftig war, bin ich gegen den Willen meiner Eltern, natürlich mit 15 Jahren dahin gegangen, wo antifaschistische Veranstaltungen waren. Wenn die Nazis das gestürmt hatten oder versucht hatten zu stürmen, da musste man sich natürlich zur Wehr setzen. Das haben wir getan und da gab es immer vorher wörtliche Auseinandersetzungen bevor es zu Schlägereien kam. Aber das gehörte damals mit dazu und da gab es auch unterschiedliche Richtungen bei uns. Mein Vater gehörte zu der Richtung, die sagten die Nazi kann man nicht mit den eigenen Waffen schlagen, wir übernehmen nicht die Gewalt der Nazis, wir setzten auf die Aufklärung Andere, unsere Metallarbeiter in den Betrieben sagten: „Das erleben wir doch täglich, die verstehen doch nur die Sprache der Gewalt. Unsere Argumente prallen ab, wie auf einen Regenmantel die Regentropfen. Wir können uns nur mit Gewalt gegen die Nazis durchsetzen.“ Und in der sozialistischen Jugend haben wir beides gemacht. Wir haben uns das theoretische Rüstzeug angeeignet um mit den Nazis diskutieren zu können und zugleich waren wir wehrhaft. Da blieb uns gar nichts anderes übrig. Bis 1936 haben wir haben wir gesungen: „Nie, nie wollen wir Waffen tragen! Nie, nie wollen wir wieder Krieg. Laßt doch die oben sich alleine schlagen, wir machen einfach nicht mehr mit“. Da kamen die alten Genossen und sagten, der Hitler steht vor der Tür mit bewaffneten Diskussionen und ihr wollt euch nicht zur Wehr setzen. Es gab eine Riesendiskussion im Jugendverband und da haben wir beschlossen wir machen Wehrerziehung. Wir lernen Schießen und wir lernen eine neue Kampfsportart, die die Nazis nicht mal vom Namen her kannten. Heute ein alter Hut, damals das neuste: Jiu-Jitsu, trainierende Handkantenschläge. Damit konnten wir uns gegen die Mehrheit der Nazis durchsetzen. Wenn zum Beispiel ein Jugendheim von uns eingeschlossen war, von nazistischen Schlägern und ihrem Umfeld, wie sollten wir die Gruppe in dem Jugendheim befreien? Mit defensiven Mitteln? Das ging nicht. Da mussten wir angreifen und wenn erst mal ihre Schläge außer Kraft gesetzt waren, dann wichen die anderen und wir konnten unsere Leute aus dem Jugendheim heraus holen. Das passierte öfters, die Erwachsenenorganisation der Sozialdemokraten, also die Sozialisten, die Rote Wehr, später republikanische Wehr, war strickt auf Defensive eingestellt. Das war gut, wenn es die Volkshäuser zu verteidigen galt gegen den Angriff der Nazis. Das war gut bei Demonstrationen, wo die rote Wehr am Anfang und am Schluss ging, aber wenn wie es einige Male passiert ist ein Veranstaltungslokal auf einem kleinen Dorf eingekreist war von den Nazis, ein Teil von unseren Leuten war schon drin und der andere Teile wollte noch rein zu der Veranstaltung und konnte nicht, na da wurde unsere Pionierabteilung gerufen. Da haben wir dafür gesorgt, dass der Ring um das Haus gesprengt wird mit unserer Kampftaktik, mit unseren neuen Kampfmethoden war das möglich.
Ja, also wir haben zum Beispiel kombiniert um unser Wissen mit Wanderungen hinauszutragen in die Dörfer. Die Arbeiterbewegung war in den Städten stark, in den Dörfern war vorwiegend Landbevölkerung und wenige Handwerker. Um auch dort Einfluss zu bekommen, sind wir von der sozialistischen Jugend mit den Fahrrädern hinaus gefahren in die Orte, haben dort Veranstaltungen gemacht, haben versucht die Leute mit einzubeziehen und haben bei diesen Kulturveranstaltungen mit Reden versucht den Leuten Klar zu machen, was bedeutet Faschismus, was bedeutet wenn ihr Hitler unterstützt, also in dem Fall bei uns Hänlein, was bedeutet das. Es war Aufklärungsarbeit und wir hatten auch bei uns eigene Agitprop - Gruppen, die darauf ausgebildet waren mit kulturellen Mittel etwas zu erreichen, was man mit Reden allein nicht erreichen kann. Wir waren uns damals bewusst, dass es nicht nur darauf ankommt den Intellekt des Menschen anzusprechen, sondern wir wussten der Mensch ist etwas ganzes, der besteht auch aus Emotionen und Triebkräften. Um mit der kulturellen Arbeit, mit unseren Agitprop –Gruppen, da sprachen wir nicht nur den Kopf des Menschen an, sondern den ganzen Menschen. Und das hat, wie ich meine, doch seine Wirkung gehabt.
Nun war es so, dass wir in 3er-Gruppen arbeiteten, Absprachen trafen, immer einer von jeder 3er- Gruppe. Wir trafen uns irgendwo, wo man nicht belauscht werden konnte um Aktionen vorzubereiten. Ob das Flugblattaktionen waren oder Plakataktionen waren oder später als wir merkten damit erreichen wir nicht genug, Sabotageakte, das spielte dabei keine Rolle. Ein halbes Jahr nach dem Einmarsch wurden die zwei größten Betriebe in Eger, zwei Fahrradbetriebe, zur Hälfte umgestellt auf Rüstungsproduktion. Wir haben also gedacht: „Jetzt ist die Stunde gekommen für eine große Plakataktion!“ In der Tat hat jede dreier Gruppe 10 Plakate in der Nacht geklebt und von einer Ausnahme abgesehen, das war der Marktplatz gegenüber der SS, wurden die Plakate entfernt. Alle anderen Plakate klebten und am Morgen gingen die Leute an diesen Plakaten vorbei auf denen Stand: "So wird der Krieg vorbereitet, wehrt euch rechtzeitig, bevor es zu spät ist." Die Plakate klebten, nur als wir dann analysierten und fragten, was haben wir erreicht. Wir hatten ja gelernt illegale Arbeit muss die Massen bewegen, da merkten wir, wir haben wenig erreicht und dann haben wir gesagt, dann eine härtere Gangart. Da viele von uns mit Sprengstoff umzugehen wussten und Zündschnüre hatten haben wir, da Eger meine Heimatstadt Eisenbahnknotenpunkt war und da es also eine strategisch wichtige Strecke von Eger über Hof nach Berlin führte, die andere über Karlsbad Reichenberg nach Breslau, die nächste über Marktredwitz nach München und eine andere über Frankfurt nach Westen, haben wir gesagt: Wir werden die Bahngleise sprengen. Das haben wir gemacht und Sie haben zwei Tage auf dieser Strecke keine Rüstungstransporte, keine strategischen Transporte durchführen können, auch keine Personentransporte. Sie haben eine Weile gebraucht um das zu schaffen und sie konnten nicht heraus finden, wer war das.
Wir hatten nachdem Münchener Abkommen die 36 bereitgestellten Divisionen, die in die Tschechoslowakei einmarschierten von allen Seiten. Böhmen und Mähren waren im Norden, Westen und im Süden von Großdeutschland eingekreist. Zu dieser Zeit war dann so, dass man erst mal als Zivilist arbeitete und erst als dann, ’39 der Krieg begann, begann dann die Einberufungen. Ich wurde aber erst Ende 40 einberufen, so dass wir zwei Jahre Zeit hatten für die illegale Arbeit als Zivilisten. Erst dann, als wir zur Wehrmacht mussten, Alternative KZ, begann also die Arbeit in der Wehrmacht und der Versuch Antifa – Zellen zu bilden. Wo man auch jeweils stand. Ich bin nachdem wir fast zwei Jahre illegal gearbeitet haben, wie viel ja andere von uns, zur Wehrmacht eingezogen wurden, oder die Alternative wäre KZ gewesen. Wir haben beraten, was machen wir, weigern wir uns den Einberufungsbefehl anzunehmen, dann bedeutet das Folter und KZ oder aber sagen wir als Soldat hast du mehr Spielraum. Das war unsere gemeinsame Entscheidung. Ich habe also schon als Rekrut eine Bewährungsprobe abzulegen gehabt, als Soldat im antifaschistischen Kampf. Meine Rekrutenzeit war in Bayreuth und dort gab es eine illegale Gruppe. Ein Handlungsreisender, ein Antifaschist, der zwischen den Grenzen hin und her pendelte, der hat mich dort in Verbindung gebracht mit der Antifa-Gruppe. Für die war ich ein Fremder, die wollten einen Beweiß haben, wie verlässlich ist der Mann und was kann er. Sie haben gesagt, wir brauchen Munition: „Kannst du uns eine Kiste Handgranaten besorgen? Wir haben Sprengstoff, in nicht genügend Maß aber alles andere ist da!“ Es war eine sehr schwierige Sache, aber ich habe unter Einsatz meines Lebens eine Kiste Handgranaten bei einem Transport auf die Seite geschafft und sie benachrichtig. Drei Tage später flog in Bayreuth das Wehrkreisersatzamt in die Luft mit der gesamten Kartei. Im Rüstungsbetrieb flog die wichtigste Maschine in die Luft und das schwierigste: auf dem Flugplatz, haben wir von drei Maschinen zwei in die Luft gesprengt. Nicht ich, die Bayreuther Antifaschisten, aber ich habe mitgeholfen schon als Rekrut. Die Frage was kann man als Soldat tun, in einer fremden Umgebung. Wir haben immer versucht Antifa-Zellen zu bilden und wenn es ein Mann war oder zwei war es nicht leicht heraus zubekommen, wo ist jemand der genauso denkt wie du. Man musste ja bei solchen Fragen sehr vorsichtig vorgehen. Manchmal hat einer einen Witz erzählt und man hat an der Art der Reaktion gemerkt, ist er ein Gegner des Faschismus oder ist er jetzt empört, wenn ein Witz gegen die Nazis erzählt wird, also das waren oft Testfälle Wo ich auch war, ich habe immer und überall in absehbarer Zeit eine Zelle in der Einheit gehabt, in der ich als Soldat gewesen bin. Das ging nachher, nach der schweren Verwundung noch viel besser und wir haben dann versucht als kleine Gruppe das uns mögliche zu tun, also ein bisschen Sand ins Getriebe zu streuen. Wohlwissend das der einzelne nicht viel erreichen kann, aber wenn so etwas in Fülle passiert, das man sehr wohl nicht nur sein Gewissen beruhigen kann, ich war dagegen, ich habe etwas dagegen gemacht, sondern auch das man der anderen Seite zeigen konnte: "Ihr könnt nicht machen was ihr wollt. Wir sind da und wir passen auf!"
Wir hatten schon im Sommer 1938, also vor dem Einmarsch der Nazis abgesprochen, dass wir nicht nur in Verbindung bleiben, sondern dass wir auch eine Geheimschrift uns erarbeiten. Einen sicheren Code mit dem wir uns auch politisch, nicht nur allgemein und menschlich verständigen konnten. Das war eine Geheimschrift, die von der Gestapo bis zum Schluss nicht entschlüsselt wurde. Ein sehr raffiniertes System, das sogenannte „Zwei-Kastensystem“. Das allgemein bekannt ist, aber da konnte man immer noch sehen das es eine Geheimschrift ist. Wenn so etwas entdeckt wurde, brauchte man natürlich nur den Absender und den Empfänger zu erpressen um mehr heraus zu bekommen, deshalb musste also der Code noch mal verdeckt werden, das war meine Idee. Wir haben dann verabredet, dass wir den wöchentlichen Artikel, den Goebbels entweder im Völkischen Beobachter oder im Reich schrieb zur Tarnung benutzen. Da wurde dann rot unterstrichen und im Begleitschreiben geschrieben der Satz von Göbels ist wichtig, der Satz musst du mit anderen diskutieren, das musst du beachten usw. es hatte nur die Funktion abzulenken. Da dieser Artikel die Geheimschrift trug, nämlich in der Art und Weise das der verschlüsselte Text von rückwärts an mit der Nadel eingestochen wurde an bestimmten Buchstaben. Die Buchstaben musste man herausfiltern, indem man das Papier an Licht hält und dann wurde erst entschlüsselt. Es war nicht mehr zuerkennen, dass wir uns mit einer Geheimschrift verständigen und dann kam noch etwas wichtiges hinzu als der Krieg begann. Mit dem Überfall auf Polen hat die Wehmacht und die Luftwaffe (‚Blitzmädchen’) gesucht, die also in den besetzten Gebieten als Telefonistinnen oder Funkerinnen helfen konnten. Da haben sich von unseren Genossinnen acht, die nicht zum harten Kern gehörten, freiwillig gemeldet. Wir haben gesagt, das ist eine gute Sache, die müssen in unsere Geheimschrift eingeweiht werden, die vorher nur der harte Kern kannte. . Wir müssen die Verbindung aufrechterhalten und die müssen, wo sie auch sind, mit den dortigen Partisanen Verbindung aufnehmen. Als ich nach der schweren Verwundung in der Strafkompanie in Afrika umgeschult wurde zum Funker, gab es natürlich eine doppelte Möglichkeit sich schnell zu verständigen. Jeder Funker hatte die Möglichkeit wenn irgendwo anders auch noch ein Funker war sich per Funk zu verständigen. Man musste nur aufpassen, weil die Gestapo und die SS ja alles abhörte, aber es ging, so das man sich auch noch mit Funk verständigen konnte. Ich hatte zum Beispiel, es gibt wenige die so was erreicht haben, von 1941 bis 1945 Verbindung zu meinem exilierten Parteivorstand in London. Es ging eine verschlüsselte Post nach Bergen in Norwegen, dort saß eine Genossin von uns als ‚Blitzmädchen’, die hat die Verbindung zu den Partisanen. Die brachten die Post nach Schweden. In Stockholm saß der Generalsekretär meiner damaligen Partei und der hat per Flugzeug von Stockholm nach London die Verbindung hergestellt. Bis es zurück kam, die Anfrage: Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?, wo sind Plätze wo Fallschirmjäger abspringen können wo zugleich ein soziales Umfeld ist?, dass sie dann auch sicher wohnen und operieren können, das musste ja alles da sein. Genügt ja nicht wenn sie nur abspringen. Solche Fragen kamen und die wurden beantwortet. Später ging das noch viel schneller, weil eine Genossin, die mit ihrem Eltern nach London emigriert wurde eine neue Identität bekam, eingeschleust wurde nach Dänemark und dort hat sie einen dänischen Wiederstandskämpfer geheiratet, dies war also doppelt abgesichert. Die hat sich bei der deutschen Kommandantur beworben und das sie Jüdisch sprach wusste niemand. Sie sprach außerdem Deutsch, Französisch, Englisch und dann hat sie noch Dänisch gelernt und hat sich dann bei der Kommandantur beworben. Da sie perfekt in Schreibmaschine und Steno war wurde sie sofort eingestellt und wegen ihrer Tüchtigkeit und ihrem Sprachgewand dauerte das nicht lange dann saß sie im Vorzimmer des kommandierenden Generals, des deutschen kommandierenden Generals. Hatte also Zugang zu all den Akten, all das was zum General ging oder vom ihn ging auch wenn es vom Führer kam, ging durch ihre Hände. Das war natürlich eine Quelle und die hatte direkte Verbindung nach London, so dass also der Weg kürzer war, so dass die Verbindung von und nach London in kürzerer Zeit funktionierte. Dann dauerte es nicht mehr sechs Wochen, sondern dann waren es vierzehn Tagen oder drei Wochen bis die Nachricht hin und her ging. Verschlüsselt natürlich.
Ja, ich bin abgestellt wurden nach Afrika. Hatte dort in einer Motorradschützen- Patrouille zu kämpfen, wobei ich dazu sagen muss, wir haben vorher abgesprochen wenn wir Soldat werden, wir schießen nie auf jemanden der uns als Feind bezeichnet wird. Wir schießen in die Luft, wir erschießen niemanden, außer in Notwehr, das ist etwas ganz anderes. Ich habe dort illegal weiter gearbeitet, z.B. bin ich in Tripolis im Lazarett angesprochen worden von einer Antifa-Sani-Gruppe und von einer Antifafunker- Gruppe, ob ich nicht Zündschnüre besorgen könnte. In Bengasi wären Genossen die wären also bereit eine Sprengung durchzuführen. Sprengstoff hätten sie genug, aber keine Zündschnüre. Das musste ich dann so organisieren, dass ich mit zwei verlässlichen Leuten die Wache übernahm. Da wurden ja Lazarettsoldaten abgestellt, also genesende Soldaten, weil nicht genügend vorhanden waren und da haben wir dann halt Zündschnüre besorgt. Ein paar Tage später flog dann in Bengasi, vom größten Munitionslager, dass die Rommel-Armee in Afrika unterhält, flog ein Viertel in die Luft. Da tauchte dann für uns ein schwieriges Problem auf. Da wurden dann also sechs Araber und ein deutscher Soldat erschossen, die überhaupt nicht daran beteiligt waren und da stellte sich für uns die Frage: "Du bist daran schuld, dass Unschuldige von der Wehrmacht erschossen wurden!" Da war natürlich abzuwägen, wo ist die Schuld größer? Wenn du nichts gegen dieses Verbrecherregime unternimmst, wenn du schweigend alles mit machst, welche Schuld lädst du dann auf dich? Wenn die vielen Toten die der Krieg kostet oder musst du nicht auf dein Gewissen nehmen, dass im Kampf gegen den Faschismus auch Unschuldige ihr Leben verlieren? Das ist im zivilen Leben schon eine Frage, unter Kriegsbedingungen war das ebenso, dass wir sagten der Kampf gegen das faschistische Regime geht allen anderen Dingen vor. Eine höchst schwierige ethische Entscheidung. Also, die Frage der Desertation wurde natürlich diskutiert, unter allen Leuten die als Antifaschisten tätig waren. Nur in Afrika gab es keine Front, die man wechseln konnte. In Afrika war Bewegungskrieg. Da konnte man die Fronten nur wechseln, wenn bei einer Einheit die von den Tommies, von den Engländer eingeschlossen wurde. Da war es möglich zu sagen, ich möchte übergehen usw., ich sage, seile mich ab dann war man die Gefangenschaft los, das ging also auch. Als ich dann nach Polen und nach Russland kam ging das nicht, denn als Funker war man viel zu weit weg von der Front. Als Funker ist man ja, wenn man nicht Heeresfunker ist, wenn man nicht in Frontnähe ist, sondern man ist relativ weit hinten wo die Generalstäbe sitzen und die sitzen ja 50 Km/h bis 60 Km/h hinter der Front, wenn es nicht ein Diversionsstab ist. Aber ich war ja meistens bei der Armee, Armeekorps, also bei diesen hohen Stellen. Wir waren weg von der Front, also da ging das nicht, aber die Möglichkeit war wahrzunehmen. Das hätte ich gemacht, viele andere auch wenn die Möglichkeit gegeben wäre
Es war eine Lappalie, die mich in Afrika vor das Kriegsgericht brachte. Wenn sie gewusst hätten, was ich wirklich getan hätte, wäre ich standrechtlich erschossen wurden. Aber so kam ich vor das Kriegsgericht und wurde verurteilt zur Strafkompanie in Afrika. Das ist eine schreckliche Sache, weil man total isoliert ist und weil man oft vor den Panzern hergeschickt wurde - sozusagen als Kanonenfang. In der Nähe des Highfalla Basses, in der Nähe von Tobruk. Ich bin dann schwer verwundet wurden nach sechs Wochen in der Strafkompanie, war ich zwei Tage bewusstlos und kam dann nach Athen und da musste mir das Auge heraus operiert werden. Die eine Gesichtshälfte ist lahmgelegt durch diese eine Verwundung. Ich war nicht mehr Kriegsverwendungsfähig und wurde dann zum Funker umgeschult. Das war natürlich in allem Unglück was mir passierte, das Beste was passieren konnte, denn die Funker hatten nicht nur die privilegierte Stellung, die waren auch in der Lage aufgrund ihrer Tätigkeit ein Funkgerät abzuhören was BBC oder der Sender Freies Deutschland gebracht hat. Jeder Funker hat das gemacht, egal ob er Nazi war oder Antifaschist. Jeder hat wenn er gesucht hat seine Gegenstelle mit der er per Befehl Verbindung auf zunehmen hatte, stieß er auf irgendeinen anderen Sender und das hat man abgehört. Aber nicht nur das konnte ein geschickter Funker auch mit einer andern Funkstelle, wo eine Genossin saß auch in Verbindung setzen. Mein großer Vorteil war, dass ich das höchste Tempo gab und nahm als ich umgeschult wurde nämlich 140 Zeichen in der Minute, das war der Polizeifunk. Das höchste was in der Wehrmacht üblich war, waren 120 Zeichen in der Minute geben und nehmen. Da ich 140 gab war ich für die Generale interessant, die wussten der Polizeifunk wird nicht abgehört von der Gestapo und der SS. Die Generale, die mit Hitler nicht einverstanden waren hatten aber auch das Bedürfnis untereinander in Verkehr zu treten, per Funk. Dazu brauchte man Leute die 140 gegeben haben und ein solcher war ich. Insofern kam ich also in höchste Stelle und hatte also Kontakt zu Generalen die alles andere als Antifaschisten waren, aber sie waren Gegner von Hitler aus vielen Gründen. Als Funker konnte ich dann also viel mehr illegal leisten, wie das vorher der Fall gewesen ist und das ging ja dann bis zum Ende des Krieges so weiter.
Die Emotionen musste man im illegalen Kampf zurückstellen soweit es überhaupt ging. Es war vorher, bevor die Nazis einmarschierten bei uns so, dass von den 33 Aktiven im antifaschistischen Widerstand es 11 Genossinnen waren. Die haben das gleiche geleistet wie die Männer und da musste ich einmal unfreiwillig küssen. Das hören die Schüler, wenn ich in einer Schulklasse berichte immer mit Vergnügen. Wir wurden nämlich beim Plakate kleben von einer SS-Streife erwischt, die ganz außerplanmäßig auf einen Weg daher kam auf dem sonst nie eine Streife ging. Während ich klebe sagte ich: „Oh, die SS kommt!“ Ich habe dann instinktiv meinen Rücken an das Plakat geklebt, es war eine kalte Jahreszeit, mit meinem Mantel den Klebeeimer verdeckt, und sie schmiegt sich an mich und sagte: „Jetzt müssen wir Küssen, ist Vorschrift!“ und dann haben wir dann geküsst um die SS-Leute zu täuschen und sie dachten tatsächlich, das ist ein Liebespaar. Die waren frech genug zu sagen: „Küssen genügt aber nicht. Denkt dran der Führer braucht Soldaten, der Führer braucht Nachwuchs!“ Wir sind noch mal mit klopfendem Herzen an so einer Sache vorbei gekommen, aber das hat ja nichts mit Emotionen zu tun. Das war der Not geboren. Sonst hatten wir ja Verbindung zu unseren Funkerinnen (die also im Ausland waren), aber das beschränkte sich zunächst erst mal auf Funkverkehr und verschlüsselten Briefverkehr. Natürlich wenn ich mal in Eger war auf Urlaub, oder da ich immer wieder mein Glasauge brauchte sagte ich zu dem Truppenarzt: "Ja also, die in Warschau können keine guten Glasaugen machen, in Wiesbaden macht man die besten Glasaugen." Dann habe ich einen Marschbefehl von der Nähe der Front, oder von Russland oder Polen nach Wiesbaden bekommen, dann habe ich einen Umweg über Eger gemacht. Da lief der eine oder andere mit. Ich bin in dieser Zeit in Eger zu erreichen, kannst du nicht auch dahin kommen? Also da traf man sich dann schon mit Genossinnen, die in Norwegen oder die in Kopenhagen waren. Das andere klappte meistens nicht, es war sehr schwer, dass man so einen Urlaub aufeinander abstimmte, aber das war natürlich dann ein Erfahrungsaustausch der gründlich war, weil man eben durch Funkverkehr oder durch verschlüsselte Briefverkehr sich auf Telegramstile verständigen musste. Und jetzt konnte man gemeinsam analysieren, was ist da passiert und was muss man da machen. Solche Treffs gab es, aber das war eigentlich eine Sache die relativ frei war von Emotionen. Da ging es nüchtern darum, was kann man als Antifaschist erreichen und was geht unter diesen Bedingungen nicht.
Ich wurde am Schluss des Krieges noch mal schwer verwundet. Ich war kurze Zeit verschüttet, durch eine britische Fliegerbombe und war dann zwei Tage bewusstlos. Den 8. Mai erlebte ich in einem Behelfslazarett in britischer Gefangenschaft. Da gab es also nur wenige, die sich freuten wie ich, sondern manchen war es gleichgültig, bestenfalls der Krieg ist zu Ende. Aber was kommt jetzt auf uns zu? Manche, vor allem junge Offiziere, die mit mir im Lazarett lagen, die waren natürlich ausgesprochen feindlich demgegenüber gestellt. So ungefähr: „Jetzt muss es weiter gehen, wir müssen weiter kämpfen!“ Da haben dann auch einige von Ihnen, im sogenannten Wehrwolf eine Rolle gespielt, also als Leiter von jungen Leuten die sich gegen die Besatzer zur Wehr setzten. Aber das währte nicht sehr lange, das brach sehr bald zusammen.
Da hätte ich meiner Gesinnung untreu werden müssen, wenn ich nicht in den Widerstand gegangen wäre. Mein Großvater war eingesperrt im KUK Kaiserreich, Kaiser Königliche Monarchie der Habsburger, weil er für den Sozialismus gekämpft hat. Mein Vater war eingesperrt, weil er für den Sozialismus gekämpft hat. Das ich in der Spur weiterarbeite, also nicht nur passiv es über mich ergehen lasse, sondern dagegen tätig bin, war klar. Ich war ja nicht allein und wir hatten ja gelernt wenn der Gegner angreift, dann weicht man nicht einfach zurück, sondern überlegt man sich wo kannst du einen Gegenangriff starten. Wenn man dann davon überzeugt ist, man wird gebraucht für die Zeit nach Hitler, das war ja damals ein wichtiger Satz: "…für die Zeit nach Hitler." Also seid illegal tätig, aber geht nicht unnötige Risiken ein. Da war also klar, du wirst überlegt Sand ins Getriebe streuen, so gut du kannst und solang du atmen kannst. Das war bei vielen, da war ich ja nicht allein, bei vielen anderen auch so.
Lorenz Knorr (geboren 1921)
Widerstand
1938 - 1945: Eger, Cheb (Tschechische Republik), Bayreuth (Deutschland), Aussig (Tschechische Republik), Ostrov (Tschechische Republik), Spa (Belgien)
Armed Resistance
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