Ich bin in Gavasseto geboren. Meine drei Schwestern, meine Mutter und mein Vater waren Sozialisten. Sie waren in der Sozialistischen Partei aktiv. Wenn man so will, bin auch ich also von klein auf Antifaschist. Ich erinnere mich sehr genau an einen Tag im Jahr 1923 – ich muss fünf gewesen sein – als die Konsumgenossenschaft von Gavasseto niedergebrannt wurde. Meine Mutter und mein Vater arbeiteten schon immer am Aufbau der Konsumgenossenschaft. Ich erinnere mich, dass in der Nacht Leute kamen, um sie aufzuwecken. Sie schrien „Die Genossenschaft steht in Flammen“. Das werde ich nie vergessen. Ich bin daher nie Mitglied der faschistischen Partei geworden. Es gab auch andere Gründe, die mich davon abhielten Mitglied zu werden, z.B. mussten die faschistischen Jugendlichen jeden Samstag an militärischen Übungen und an allerlei Unterricht teilnehmen, ein Umfeld, mit dem ich nichts zu tun haben wollte. Ich zog nach Villa Rivalta und mit nicht einmal 17 Jahren begann ich bei Officine Reggiane zu arbeiten. Sogar dort war jeder Tag ein Kampf, es war kein schönes Leben. Für alles musste man das Parteibuch der Faschisten vorzeigen. Für mich war das ein weiterer Grund, nicht mit den Faschisten einverstanden zu sein. Bei allem was man tat, bei allem was man brauchte, sollte man das Parteibuch vorzeigen. Ich glaubte nicht daran und ich wollte das Parteibuch nicht. Ich musste mich so gut wie möglich behelfen, mit Methoden, die ich von meiner Familie gelernt hatte, von meinen Eltern und meinen beiden älteren Schwestern. In der Schule machten wir in den ersten drei Monaten Schreibübungen und lernten bis 50 zu zählen. Die Lehrerinnen waren nicht so wie heute. Ich erinnere mich, dass meine Lehrerin aus Casalgrande kam. Die arme Frau ging den ganzen Weg zur Schule und zurück zu Fuß. Zur Schule zu gehen wurde als nicht so wichtig erachtet. Wenn man meinen Fall nimmt: als ich mit der dritten Klasse fertig war, nachdem ich die zweite nicht bestanden hatte, ging ich nicht mehr zur Schule. Es war nicht aus Bosheit, es war nur so, dass es genügte, wenn man Lesen und Schreiben gelernt hatte. Später, in der Armee, schrieb ich Briefe für einen Kameraden aus Guastalla und zwei weitere aus den Bergen. Sie waren in meinem Alter, aber sie konnten nicht schreiben. Ich war nicht besser als sie, außer dass ich bis zur dritten Klasse zur Schule ging.
Es war nicht wirklich gefährlich, denn sie kontrollierten eher diejenigen, die älter waren als ich. Ich war immer Antifaschist, auch bei Reggiane, so wie viele andere auch, die weniger Glück hatten als ich. Bei Reggiane wurden Flugzeuge gebaut. Einige Leute, wie Ganassi, Bagnacani oder Catellani wurden ins Gefängnis gesteckt, als heraus kam, dass sie Sand in die Zylinder gaben. Aber sie waren um die 30 Jahre alt, waren bereits verheiratet und hatten zum Teil Kinder. Auf diese Leute hatten sie es besonders abgesehen, wir blieben unbemerkt. Sie verfolgten uns nicht wirklich. Mein Chef sagte immer “wenn die Soldaten zurück nach Hause kommen, müssen sie in die Partei eintreten, wenn sie in der Fabrik arbeiten wollen”. […] Sie waren meine Lehrer, sie brachten mir bei, wie man leben sollte. Zu der Zeit sammelten wir Geld für die Rote Hilfe. Ich war für Rivalta zuständig: wir sammelten Geld und gaben es der Partei. Am härtesten traf es diejenigen, die in Spanien gekämpft hatten, aber manche Kameraden aus Rivalta, wie Fontanesi, wurden auch eingesperrt. Die Partei versuchte den Familien so gut wie möglich zu helfen. Sonntags machten wir Flohmärkte auf den Plätzen und organisierten Lotterien. Einmal war der Hauptpreis eine Henne, die uns ein Bauer geschenkt hatte, um das nötige Geld zu sammeln.
Es gab damals eine Regel. Bei Reggiane bauten wir Flugzeuge – am Flughafen von Reggio Emilia kann man noch eines der Flugzeuge sehen, die wir gebaut haben. Die jungen Arbeiter von Reggiane, die zur Armee eingezogen wurden, waren berechtigt, bei der Luftwaffe zu dienen, während die Arbeiter von Lombardini Motori, die Schiffsmotoren bauten, in der Regel bei der Marine dienten. Ich wurde zum Militärdienst eingezogen, ging nach Bologna und dann nach Orvieto, wo ich die Grundausbildung absolvierte. Nach der Grundausbildung wurden wir an verschiedene Orte versetzt. Ich wurde zu einem Flughafen in der Nähe von Rom geschickt, in ein kleines Dorf names Furbara. Von dort wurde unsere Einheit als Wache nach Rom geschickt. Wir gingen im Palazzo Venezia Wache. Während der Woche war jede Nacht eine andere Abteilung verantwortlich: eine Nacht war es die Luftwaffe, eine Nacht die Artillerie und so weiter. Wir gingen also zur Wache und ich erinnere mich, dass ein neuer Leutnant uns um acht Uhr morgens mit einem Transporter abholte. und er sagte uns, dass wir für eine Weile Rom besichtigen würden, da er nie dort war. […] Ich ging zurück zum Flughafen. Die Post war angekommen und es gab auch ein paar Briefe für mich. Ich ging zum Schlafsaal und als ich einen der Briefe öffnete, kam mein Leutnant, ein Mann aus Ancona mit Namen Santaroni. Er war ein guter Mann – er umarmte mich später – und er sagte, „diese Herren brauchen dich“. Es waren drei Polizisten. Der Marschall nahm mir zuerst den Brief aus der Hand. In dem Brief schrieb meine Mutter die folgenden Worte: „Du hast Glück, dass du in der Armee bist, denn in den letzten Tagen wurden Pattaccini, Boiardi und andere verhaftet“. Das waren fünf oder sechs Leute, mit denen ich dort immer zusammengearbeitet hatte. Die Arme erzählte mir diese Dinge ganz offen, weil ich in Rom war. Und stattdessen haben sie mich dort erwischt. Diesen Brief bekam ich nie zurück. Wo immer ich hingebracht wurde, der Brief schien mir zu folgen. Wir würden immer leugnen, jemanden gekannt zu haben. Ich konnte nicht, denn die Namen standen in diesem Brief geschrieben. Eines morgens fuhren wir vom Bahnhof ab. Ich wurde bereits degradiert: sie hatten mir alles weggenommen, an dem Tag war ich leicht heruntergekommen, unrasiert und etwas krank. Die anderen Leute auf der Reise waren neugierig. In anderen Fällen, z.B. als ich verhaftet wurde, waren wir 18 Mann. Wir hatten einen ganzen Wagon für uns und es gab keine anderen Leuten. Dieses Mal aber, begannen die Leute zu fragen, was ich getan hatte und ich ließ es zu. Ich wurde der Star des Wagons, alle gaben mir etwas. Zigaretten und so weiter. Die Carabinieri wussten nicht, was sie sagen sollten. Ihr Problem war, dass sie mich nicht verstecken konnten. Also konnten sie nichts tun, wenn mir jemand eine Zigarette anbot. In Florenz beschlossen die Carabinieri, in einen anderen Zug umzusteigen. Später verstand ich, dass sie das taten um mich daran zu hindern, mit den Leuten zu sprechen. Im Zug von Bologna nach Reggio Emilia waren viel weniger Leute. Als wir in Reggio Emilia ankamen, wurde ich direkt zur Polizeiwache gebracht. Ich wurde mit verschiedenen Geschichten konfrontiert und ich hatte immer noch das Problem mit diesem Brief. Ich hätte nie etwas preisgegeben aber Pagliarello hatte meinen Brief in der Hand, als er mich verhörte und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Auf der Polizeiwache wurden mir Handschellen angelegt. Ich sah aus den Augenwinkeln, dass er mich von hinten schlagen wollte. Ich schützte mich selbst, sodass er auf die Handschellen schlug. Er wurde böse und schlug mich zwei oder drei Mal. Wir alle standen Schlange. Ein gewisser Montermini, ein Bäcker, wurde vom Sondergericht zu fünfzehn Jahren verurteilt. Er saß einige davon ab. Wir waren die letzten und unsere Strafen waren milder. Ich selbst wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Niemand hat dich verteidigt. Du hast dich selbst verteidigt, so gut du konntest. Aber wenn du Teil der Bewegung wurdest, gab es nichts zu verteidigen. Wenn du erwischt wirst, musst du mit ein paar Jahren rechnen. Das wussten wir schon vorher. Ich verbrachte zwei Monate im San Tommaso Gefängnis in Reggio Emilia, bis sie uns verlegen mussten, um Platz für neue Häftlinge zu machen. Wir waren 18 or 19, alle an der gleichen Kette gefesselt. Unsere Familien wurden gewarnt, dass wir am Bahnhof sein würden. Als wir dort waren, waren sie gekommen, um uns zu sehen und manche von ihnen weinten. Wir mussten so tun, als ob alles in Ordnung wäre und uns zum Lachen zwingen, um es einfacher für sie zu machen. Als wir in Castelfranco ankamen, frug der Chef der Wärter den Direktor, wo sie uns hinbringen sollten, denn das Gefängnis war auch voll. Er fragte wo wir herkämen und als man ihm sagt, dass wir aus Reggio Emilia sind, sagte er: „Wenn es nach mir ginge, würde ich sie in die Jauchegrube werfen“. Lustig, nicht wahr? Obwohl wir nichts getan hatte, landeten wir schließlich in Strafzellen. Das Gefängnis war voll, aber sie hatten diese speziellen Zellen für ein bis zwei Leute. Es gab nur eine kleine Öffnung in der Tür und ein winziges Fenster für frische Luft. Man hörte und sah niemanden, außer den Wärter, der ab und zu vorbeikam, um nachzusehen. Ich verbrachte um die zwanzig Tage in Castelfranco.
Wir wurden zu einer landwirtschaftlichen Strafkolonie gebracht, der „Colonia Confinati di Pisticci“, in der Nähe von Matera. Es war eine landwirtschaftliche Kolonie. Sobald wir dort ankamen, begannen wir zu arbeiten. Wenn Sie möchten, kann ich die Geschichte eben erzählen… Das Problem mit dieser Kolonie war, dass sie errichtet wurde, als sie die Insel Ponza schließen mussten. Sie sehen, in Ponza waren es Leute wie Terracini, Volponi, Cuccimarro und andere Typen dieser Art, die Anwälte waren. Als Folge jeder, der dort war, auch der kleinste Bauer, würde, bis er die Kolonie verlassen geschult werden: sie alle studiert! Terracini war es, zum Beispiel, und wenn es Zeit ist, zu essen - gibt es große Tische für acht - er nahm, dass die Zeit der Dinge zu den anderen zu erklären. Meistens war es aus diesem Grund, dass sie beschlossen, die Insel Ponza zu schließen. Einige von ihnen wurden nach Ventotene geschickt, andere wurden bei uns Pisticci übertragen, wie Bigi, das Mitglied des Europäischen Parlaments oder Bonini. Als ich die Kolonie verlassen, gab es fast dreitausend Menschen in Pisticci beschränkt: nicht nur politische Gefangene, aber ein bisschen von allem, einschließlich der Spione. Seit drei Jahren fahre ich einen Traktor. Wir kamen in den Büros der Kolonie, wo wir in drei Hallen aufgeteilt wurden, da waren wir siebzehn oder achtzehn. Als ich ging in, andere waren schon drin. Ich fing an, ihnen zu erklären, wie wir hatten das Glück, dass die Zahl der sozialistischen Länder wuchs, Dank der Sowjetunion - sie war gerade damals Schweden, Norwegen und Litauen besetzt - und wie groß die Russen waren. Kommen Sie morgen, ein winziger Mann rief mich und fragte mich, woher ich war. Ich sagte ihm, ich bin von Reggio Emilia, so sagte er mir: „Sind Sie wirklich sicher über die Dinge, die Sie gestern Abend zu sagen haben?“. Ich dachte, er sei verrückt. Er war Professor von Mailand, dessen Name war Lonato. Wir waren in großen Begriffen danach. Bei uns gab es auch Gefangene aus Parma. Ich sage nicht, dass ich es dort gefallen hat, weil es immer Haft war. Allerdings war ich jünger als die andere, und ich verstand, dass dies ein Vorteil war. Ich war mit einem Mann namens Bonini, von der Villa Seta, der um 45 Jahre alt war und hatte eine Frau zu Hause, einen kleinen Bauernhof zu mieten und die Betreuung der Kinder: das war viel schwieriger, aber er immer kümmern Dinge ziemlich leicht verwaltet werden. Dann kam ich endlich zu Hause aus der Gefangenschaft. Ich hatte einige Dokumente gegeben worden, die ich angeblich die Polizei zu bringen. Als ich dort war, klopfte ich an die Tür (wir wussten schon, wie es funktioniert) und die Person im Inneren fragte mich, wer ich war. Als ich „Porta“ antwortete, sagte er mir zu gehen. Ich klopfte noch einmal, und er schickte mich wieder aus, dreimal. Schließlich sagte er zu mir: „Weißt du nicht, dass, wenn Sie hierher kommen, müssen Sie den römischen Gruß geben?“. Ich antwortete, dass ich gerade von fast vier Jahren der Gefangenschaft zurück gekommen war, für viel weniger, und daß ich lieber wieder dorthin geschickt werden, als habe ihm zu gehorchen. Er sagte mir schließlich nach Hause zu gehen, aber es gibt Ihnen eine Idee ...
Als ich zurück nach Hause kam ging ich dort arbeiten, aber nach drei Monaten wurde ich wieder zum Militär einberufen, denn ich war Soldat als ich verhaftet wurde. In Bari machte ich die Grundausbildung zum zweiten Mal dann wurde ich nach Albanien geschickt. Ich wollte nicht gehen also sprach ich mit meinem Oberstleutnant. Ich erklärte ihm, dass ich wusste, dass ich kein Recht hatte, eine Waffe zu tragen, denn ich hatte alle Rechte verloren als ich verhaftet wurde. Er antwortete, dass er in Albanien mit den Schwarzhemden gekämpft hatte, obwohl er in der Armee war, und wenn er gehen könne, müsste ich definitiv auch gehen. Nach vier oder fünf Monaten in Durrës in Albanien, bekam ich einen Brief vom Ministerium, mit der Anweisung sofort zurück nach Italien zu kommen, denn ich sollte nicht dort sein. Man brachte mich zum Hafen und auf ein Schiff namens Disentine. Wir verbrachten dort drei Tage ohne abzulegen, angeblich wegen Britischer U-Boote. Eines Abends sahen wir vom Schiff aus eine große Feier in Durrës, Die Menschen umarmten sich und wir beschlossen von Bord zu gehen. Es war der 8. September, Badoglio hatte soeben den Waffenstillstand erklärt. Es waren auch fünfzig deutsche Soldaten in Durrës: Sie nahmen Ihre Uniform ab, feierten mit uns. Acht Tage später verkleideten sie sich wieder als Deutsche. Von diesem Tag an hatte niemand mehr eine Verbindung nach Rom. Sogar die Militärverwaltung konnte nicht mehr mit Rom sprechen. Niemand antwortete. Vielleicht war es besser so. Unsere Offiziere wie z.B. General Mondini aus Parma, der Kommandierende General meiner Division riefen eines Tages die Truppen zusammen and belügten uns absichtlich. Ich glaube sie wussten von Anfang an, dass sie uns anlogen, aber sie sagten uns, dass sie eine Vereinbarung mit den Deutschen hatten: sie würden uns nach Trieste bringen, von wo aus jeder seines Weges gehen könne. Ich war sehr skeptisch aber wir stiegen alle in den Zug. In jedem Waggon waren 42 von uns. Als wir die deutsche Grenze erreichten verriegelten die Deutschen die Waggons, angeblich wegen der Partisanen. Am Morgen – ich hatte eine kleines Buch mit einer Karte - waren wir in Österreich. Ich sagte den anderen, dass es überhaupt nicht gut aussah. Ich landete in Neubrandenburg 200km nördlich von Berlin. Ich war dankbar, dass vor drei, vier Jahren das Lager besuchen konnte, in dem ich 60 Jahre zuvor inhaftiert war. Wir blieben eine Weile dort. Es gab ständig Luftangriffe. Die Deutschen, die für das Lager verantwortlich waren wohnten in den ersten beiden Hütten. Dann gab es zwei Hütten für weibliche Gefangene – Russische Frauen, die mit kleinen Schaufeln an den Bahngleisen arbeiteten – dann die Franzosen and schließlich wir. Ich weiß nicht wie viele Tausend Gefangen in dem Lager waren. Ich sollte nicht vergessen, dass ich zu der Zeit noch in Begleitung von zwei Unteroffizieren war, die meine Dokumente behalten hatten, als wir Albanien verließen. Einer von ihnen war aus Cosenza, der andere aus Catanzaro. Ich glaube sie sollten eigentlich im Sonderurlaub zurück nach Italien gehen. Als sich alles änderte war ich leicht besorgt: die zwei brauchten etwas zu trinken und ich wusste, wie die Deutschen nicht gut auf Kommunisten zu sprechen waren. Eines Nachts brauchten die Deutschen 30 Leute und kamen zu unserer Hütte. Die zwei Offiziere hatten Recht auf Etagenbett bekommen und schliefen in einer Ecke der Hütte. Wir schliefen auf Stroh auf dem Boden. Ich schaffte es in die Gruppe zu kommen, die losging. Ich hörte später nichts mehr von ihnen und vielleicht hätte ich es nicht tun sollen, aber ich hatte Angst, dass sie meine Dokumente an die Wachen aushändigen würden. Die Wachen dort waren brutal. Sie kamen morgens rein und schrien „Aufstehn!“. Anfangs wussten wir nicht, was wir tun sollten – vielleicht Kaffee holen! - dann kamen vier oder fünf rein und verhielten sich grob. Wir verstanden dass wir aufstehen sollten, auch wenn wir das Wort nicht kannten. Sie waren richtig gemein. Ich ging also zu diesem anderen Lager bei einem großen Fluss, der bombardiert worden war und wir begannen dort zu arbeiten. Ich verlor den Kontakt zu den beiden Offizieren. Das Lager war im Prinzip ein Durchgangslager wo täglich 100-200 Personen mit dem Zug ankamen. Ich war in vier verschiedenen deutschen Konzentrationslagern. Das letzte, von dem wir schließlich befreit wurden, hieß Wickede und war in Westfalen bei Dortmund. Normalerweise gingen die Leute sofort schlafen. Am längsten war ich in Hagen. In Wickede musste ich um fünf Uhr morgens aufstehen, 2km zum Bahnhof laufen, 70km mit dem Zug fahren und dann zur Arbeit laufen. Manchmal kam ich erst um neun Uhr abends zurück. Es gab auch schreckliche Episoden, aber nicht so oft. Sie würden uns ungefähr um 10:30 abends kontrollieren. Wir mussten uns im Flur aufstellen. Einer von uns schlief in einer Ecke ein anderer war krank und sie schickten uns raus um Übungen zu machen. Wir trugen Holzschuhe die man leicht verlor, wenn man die drei Stufen hinab ging, die zu jeder Hütte führten. Dann ließen sie uns stundenlang im Kreis gehen, manchmal im Regen. Solche Episoden gab es nicht so oft, aber es gab sie bestimmt. Ich wurde am 16. September festgenommen, oder besser gesagt, wir wurden in einen Zug geladen und ich kam erst zwei Jahre später nach Hause – am 14. September. Wir waren in der Nähe des Ruhrgebiets, wo die meisten Waffenfabriken waren. Auch die Panzerfabriken, die von den Amerikanern mit speziellen Bomben angegriffen wurden. Wir wurden jede Nacht bombardiert, ich dachte gar nicht mehr daran weg zu rennen, denn das hieße eben unter diesen Bomben zu rennen. Das war es, was wir durchmachten.
Sie gaben uns nur eines dieser großen dunklen Brote zu Essen. Es war ein großer Laib aber man musste es in fünf Teile brechen. Das war alles, was man bis zum Abend bekam. Am Abend bekamen wir nur etwas eklige Brühe, aber kein Brot mehr. Das Stück Brot war für Gold für mich: ich aß es Stückchen für Stückchen um es aufzusparen. Wir hatten schrecklichen Hunger und im Winter, als wir zurück nach Hagen gingen, gab es eine Eiseskälte. Wir verbrachten den ganzen Tag in der Nähe eines Flusses und die Luft war unerträglich. Zum Mittagessen gaben sie uns eine Plörre. Dort habe ich Margarine kennengelernt, Mangold, Rüben und solche Dinge, alles gehackt, gekocht und mit etwas Margarine verfeinert. Wer zuletzt kam, aß es kalt. Das war bei mir oft der Fall, weil ich mich nicht immer mit allen anderen anstellen wollte. Manchmal erlaubten sie uns aus der Reihe zu tanzen. Die Deutschen schienen es zu genießen uns beim drängeln und streiten zu zu sehen. Mützen fielen in die Suppe. Etwas, das die Menschen zum Durchdrehen brachte. Mein Korporal, Mario Palazzeschi, ein Junge aus Arezzo, war unglaublich gesund. Viel gesünder als ich. Eines Tages aber, begann er zu schluchzen „Carlo, ich schaffe es nicht, ich schaffe es nicht…“ Innerhalb von drei Monaten war er tot. Wissen Sie was ich immer gesagt habe? Herr Mussolini und Herr Hitler müssen vor mir sterben. Stellen Sie sich vor, was sie sagen würden, wenn sie erführen, dass ich immer noch da bin. Mit über achtzig Jahren! Ich sage das nur um ein wenig zu lachen.
Als wir dort ankamen, fragten uns die Franzosen: „Ihr kommt von draußen, was sagen die Leute? Wie lange wird der Krieg noch dauern?“ Wir dachten immer, wir wüssten alles. und wir sagten, es würde nur noch 1-2 Monate dauern. Aber sie antworteten dass es noch zwei Jahre dauern würde. Sie hatten recht. Der Krieg ging noch zwei Jahre weiter. Es gab Frauen, die mit Schaufeln und Pickeln an den Bahngleisen arbeiten mussten. Manchmal waren sie sogar schwanger, und glauben Sie mir das ist harte Arbeit. Abends wurde nicht gezählt, wer zurück kam und wer nicht. Es wäre ihnen egal, wenn zehn von uns am Tage gestorben wären. Es war ihnen egal, wie wir arbeiteten, aber wir mussten jeden Tag auf der Arbeit sein. Nach dem Wecken morgens um 5 Uhr mussten wir aufstehen und mit den anderen das Lager verlassen. Aber danach gab es keine Kontrollen darüber, was wir tagsüber machten. Wir konnten jedenfalls nirgends hin. Man erwartete, dass wir bei der Arbeit sind, auch wenn wir den ganzen Tags nichts tun würden. Es war sehr kalt dort. Es waren auch Frauen aus Russland da und ein paar Männer.
Einige der Übersetzer, auch die Italiener, sagten uns, dass es da eine Möglichkeit gäbe, dass Mussolini und Hitler beschlossen hätten, dass die Italiener nicht als Gefangene in diesem Land zu bleiben brauchten. Es ging um die berühmten IMI. Auf der Uniform, die einer trug, musste IMI draufstehen (Italienische Militärinternierte). Wir, angefangen bei mir und zwei sardischen Hauptmännern der Finanzpolizei, zu viert oder fünft also, wir haben es geschafft, dass niemand unterschrieb. In meinem Lager waren wir 500. Während die sagten "wir schicken Euch nach Italien und da wartet die (Gebirgsjägerdivision) Monte Rosa auf euch”, konnten wir nur ahnen, was die Monte Rosa sein sollte. Wisst ihr, was wir sagten? “Leute, wir unterschreiben nichts, denn an der Front in Russland fehlt es uns an Kräften, es fehlen Soldaten. Die schicken uns an die russische Front!" Keiner hat unterschrieben. Der Chef aller Chefs, der “Lagerführer”, ist eines Tages so wütend geworden ... – Ich sag das auf Deutsch – “Diese Leute morgen früh kein Brot”. Die haben uns echt drei Tage kein Brot gegeben.
Zu diesem Zeitpunkt war ich entschlossen, nach Hause zurückzukehren, ich ertrug den Gedanken nicht, hier zu enden. Ich aß genau so schlecht wie die anderen, obwohl mein Arzt mir später sagte, dass diese zwei Jahre in Deutschland gut für meine Gesundheit waren und mir halfen am Leben zu bleiben. Ich habe nicht viel gemacht, aber ich habe nie daran gedacht, es nicht nach Hause zu schaffen. Nur in den letzten drei Monaten gab ich auf. Ich konnte mich nicht mehr an meine Familie erinnern. Es war als ob der Begriff verschwunden war, ich verstand das damals nicht. Ich war erschöpft, die Ernährung war für uns alle schrecklich, aber ich tat mein Bestes, um trotz dieser Erschöpfung zu überleben. Was das Gewicht angeht, hört man die Leute von 38 oder 40 Kilo sprechen, ich habe mich jedoch nie gewogen. Ich wog wohl ungefähr 50 oder 55 Kilo. Ich weiß, dass ich dünn war, aber damit musste ich leben. Ich sah einige in Angst sterben, weinend. Viele hatten Frau und Kinder und das waren andere Probleme. Dann erreichten die Amerikaner das Lager. Sie ließen ein paar Wachen dort, aber wir gingen wohin wir wollten. Zwei von uns waren Schlachter – einer aus Ravenna, sein Name war Belloni. Sie fingen an Kälber zu finden – kein Scherz! – und schlachteten sie. Sie legten das Fleisch in solchen Bierfässern ein, die man in Deutschland findet. Wir hatten nach 15-20 Tagen noch frisches Fleisch. Sie gingen jede Nacht raus, um etwas zu finden, uns ging es also endlich gut, was die Ernährung betrifft.
Ich kam mit dem Zug zurück nach Hause. Eines morgens fuhren wir los uns kamen zum Bodensee in der Schweiz. Als wir ankamen, funktionierte der Zug nicht mehr. Nach zwei Tagen, fanden wir einen anderen Zug, Es dauerte anderthalb Tage bis nach Como, denn alles war zerstört und es gab nur ein funktionierendes Bahngleis. Da es keine Möglichkeit gab, nach Mailand zu gelangen mussten wir mehrere Tage in Como bleiben. Als wir endlich Mailand erreichten, sagte man uns, dass der Anschluss nach Emilia Romagna bereits abgefahren sei. Sie nutzten alte Lastwagen, was auch immer übrig war, denn die Zugbrücke in Piacenza war bombardiert worden. Wir blieben zwei Tage dort, bis uns jemand empfahl mit dem Zug nach Padova und dann nach Ponte Lagoscuro zu fahren, denn die Züge könnten dort den Po überqueren. Das taten wir, wir fuhren nach Padova dann nach Ferrara und schafften es schließlich nach Bologna. In Bologna sollten wir zwei Tage in einer Kaserne bleiben, aber ich ging mit zwei oder drei Kameraden raus und wir schafften es den SARSA bus zu finden. Wir fragten den Fahrer, ob er in Richtung Reggio unterwegs sei und ob wir einsteigen könnten, und er stimmte glücklich zu. In Castelfranco jedoch sagte der Kontrolleur uns freundlich, dass wir ein Ticket kaufen müssten. Wir antworteten, dass wir überhaupt kein Geld hätten. Er war einverstanden, uns nicht im Stich zu lassen, aber in Reggio müssten wir zusammen zum SARSA Büro gehen. Als wir reingingen sagte er: „Chef, diese Männer haben den Fahrpreis nicht bezahlt, weil sie behaupten, dass sie aus Deutschland kommen.“ Die Antwort war: „Du bist wirklich ein Idiot, ich habe dir gesagt, dass sie jedes Recht haben, zurück nach Hause zu kehren!“ Er wurde wirklich beschimpft. Von hier aus gingen wir zu Fuß weiter mit zwei anderen aus Correggio. Wir wussten überhaupt nichts, also befragten wir den Direktor der SARSA eine Weile. Wir liefen nach Hause, das war damals immer noch recht gewöhnlich. Als wir ankamen, wo heute das ACM ist, war ich müde und blieb eine Weile stehen, um mich auszuruhen. Eine Frau kam auf ihrem Fahrrad vorbei und fragte mich, ob ich der Sohn von Herrn Porta sei. Ich sagte ihr, dass ich es sei und sie sagte: „Du bist spät dran!“. „Nun, ich bin gerade angekommen“. Sie bot an, meinen Eltern Bescheid zu sagen, um mich zu begrüßen, aber bevor sie ging, fragte ich sie wie die Situation sei, da sie meine Familie kannte. „Alle sind am Leben“, sagte sie, „und dein Bruder ist gerade aus der Schweiz zurück“. Dann ging sie zu meinen Eltern, um ihnen die gute Nachricht zu überbringen. Ich werde nie vergessen, wie meine Mutter unter Tränen auf mich zugerannt kam. Sie hielt es nicht mehr aus, genau wie ich und es war das erste Mal dass ich weinte. Normalerweise weine ich immer, wenn ich diese Geschichte erzähle. Heute habe ich Glück, heute morgen habe ich es geschafft nicht zu weinen. Und das ist das Ende der Geschichte. Ich nahm wieder Kontakt zu meinen alten Bekannten auf und machte mich auf die Suche nach Arbeit. Ich bekam viele Angebote, die ich nicht annahm, dann machte ich einfach mit meinem neuen Job bei Giglio weiter. Latterie Cooperative Riunite (Vereinigte Molkereigenossenschaft). Ich habe sechsunddreißig Jahre dort gearbeitet.
ANPPIA ist eine 1948 gegründete Organisation, in Reggio Emilia, die immer noch Dokumente über mehr als 2000 Antifaschisten hält. Es ist eine Mission, auf die wir wirklich stolz sind. ANNPIA ist der Verband der Verfolgten italienischen politischen Antifaschisten. und immer wenn wir können, arbeiten wir daran, allen von unseren Geschichten zu erzählen.
Carlo Porta (1919 - 2007)
Widerstand
1938 - 1945: Reggio Emilia (Italien)
Unarmed Resistance
Widerstandsgruppen
Soccorso Rosso
Download transcript (PDF format)
Original interview language (Italienisch)
English translation