Ich wurde am 21. Mai 1921 in Roncolo di Quattro Castella geboren. Wir waren eine Bauernfamilie, aber wir hatten andere Wurzeln. Mein Großvater hatte studiert, um Musiklehrer zu werden und hatte die Musikgruppe von Vezzano gegründet. Meine Großmutter war die Tochter eines Stadtschreibers von Vezzano. Er war beteiligt beim Kampf um die Einheit Italiens, zusammen mit seinem Bruder Baroni Radighieri. Meine Großeltern lernten beide viel mehr, als Bauern es normalerweise taten würden. Jeden Tag las meine Großmutter die Zeitung, obwohl sie eine Frau war. Mein Vater erinnerte mich oft daran, wie wichtig Bildung für Frauen sei. Sie heirateten sehr jung und weil sie keine Arbeit finden konnten, begannen sie mit der Landwirtschaft. Die Generation meines Vaters war die einzige, die sich mit Landwirschaft befasste, bis sie älter waren und sich anderen Dingen zuwandten.
Das faschistische Regime verschonte auch uns Kinder nicht. Unsere Schule veranstaltete einen Zeichenwettbewerb. Ich war wirklich sehr gut im Zeichnen. I hatte ein sehr hübsches Rutenbündel mit einem Lorbeerkranz gemalt. Es ist nicht einfach, das mit Kreide farbig zu zeichen, wenn man nicht gut darin ist. Es war sehr gut gelungen. Meine Zeichnung wurde zur schönsten der Schule gewählt. Wir wurden ins Ausoni Theater eingeladen für die Preisverleihung. Der Ortsvorsteher sollte die Preise überreichen. Die gesamte faschistische Hierarchie war anwesend, wie immer bei Zeremonien. Ich war die letzte, die ausgezeichnet werden sollte. Schließlich wurde ich aufgerufen. Ich ging die Stufen hoch zum Podium. Herr Ganassi war dort. Ich brachte ihm jeden Abend etwas Milch von einer Kuh, die ich großgezogen hatte. Denn er hatte ein kleines Kind und er hatte alle seine Kinder in jungen Jahren verloren. Herr Ganassi fragte mich: "Du bist also nicht in der Piccola Italiane? Ich antwortete: "Nein, mein Vater hat mich nicht angemeldet." "Dann können wir dir den Preis nicht geben", sagte Herr Ganassi und schickte mich zurück. Wie kann ein kleines Mädchen von zehn oder elf Jahren verstehen, dass eine Mitgliedschaftskarte mehr wert ist, als ihre Fähigkeiten? Ich lief weinend nach Hause. Meine Mutter fütterte gerade die Schweine. Ich sagte ihr, es sei ihre Schuld, dass ich den Preis nicht bekommen hatte. Sie ohrfeigte mich und sagte, wenigstens hätte ich etwas worüber ich weinen könnte. Sie konnte es mir nicht erklären. Eltern mussten sehr vorsichtig sein, wenn sie mit uns Kindern redeten. Kinder wiederholen oft, was sie zuhause hören: Wenn sie etwas schlechtes über Faschisten sagten, konnten die Eltern bestraft werden. Sogar wenn sie sich im Viehstall unterhielten, sagten sie uns immer, nicht über das zu sprechen, was wir hören. So wussten wir von klein auf, dass wir still sein mussten, um uns und unsere Familie nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Dann zog unsere Famlie nach Reggio, weil die Kinder dort zur Schule gingen. Mein Bruder besuchte die Mittelstufe auf einem Internat in Parma. Darum war es nötig dichter an die Stadt zu ziehen. Sie kauften ein Haus in der Dalmazia Straße. Mein Leben veränderte sich schlagartig. Wir verließen das konservative, traditionelle Landleben, wo man vorsichtig sein musste, was man sagte. Auch waren Frauen dort nichts wert. Ich sollte immer den Mund halten, weil ich eine Frau war, sogar zuhause. Meine Mutter hielt das für richtig. In der Stadt traf ich zum ersten mal auf Frauen, die arbeiten gingen. Die Elite der Arbeiterklasse lebte damals in der Dalmazia Straße. Reggios Fabriktechniker der Wasser- und Gasfirmen. Es war eine sehr schlaue, erfahrene und gut ausgebildete Gruppe von Leuten der Arbeiterklasse. Wir zogen 1938 dort hin; Ich war gerade 17 geworden. Wir hatten ein Restaurant mit einer Bar. Obwohl ich recht jung war, war ich sehr wissbegierig. So war ich schon immer gewesen. Die älteren Männer mochten mich. Sie begannen, mir Dinge zu erklären, von denen ich vorher nur sehr allgemein wusste. Was Faschismus wirklich war, worin der Grund für dessen Existenz lag, denn für mich war es zu dieser Zeit nur Gewalt und Ignoranz. Diese Männer waren meist Kommunisten und Sozialisten. Ich begann zu verstehen und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, den ich sehr interessant fand. Ich hatte Freunschaft geschlossen mit den jungen Männern, die in unsere Bar kamen. Als sie in den Krieg gingen, wurde ich ihre Bezugsperson. Sie schrieben von Afrika, von Frankreich, von Russland, sie fragten mich nach Neuigkeiten voneinander. Ich bekam einen größeren Überblick über den Krieg, im Gegensatz zu denen, die nur Briefe von ihren Verwandten hatten.
Torelli war ein alter Antifaschist, der in unserem Haus lebte. Er wurde verfolgt und hatte im Gefängnis gesessen. Eines Tages sagte er mir, er möchte mit mir sprechen. "Die Dinge, die du machst, sind sehr wichtig. Wir waren sehr überrascht von dir." Er bezog sich auf das, was ich mit Maria Montanari und meiner Cousine gemacht habe. Wir waren in einer starken und kämpferischen Gruppe von Freunden, die die gleichen Ideale und die gleiche Lebenseinstellung hatten. Die Deutschen hatten offiziell bekanntgegeben, das diejenigen, die Soldaten und Deserteuren beim Entkommen helfen, in Konzentrationslager gebracht oder exekutiert werden. Was uns erwartete, war kein Spaß. Torelli sagte weiter: "Ihr braucht alles, was eine geheime Armee benötigen könnte, weil wir die Menschen zum kämpfen bringen wollen, um die Deutschen und Faschisten zu verjagen." Wir begannen, Sachen zusammenzutragen. Bevor ich darüber rede, werde ich eine Geschichte erzählen, die meine Entscheidung, am Befreiungskampf teilzunehmen, beeinflusst hat. Drei oder vier tage nach dem 8. September, heulten die Luftangriffssirenen los. Wir flohen auf unseren Fahrrädern. Nach einer Weile fuhren wir wieder nach Hause, da wir nichts hörten und die Warnung aufgehört hatte. Als wir am Anfang der Dalmazia Straße ankamen, wir flohen immer in Richtung Codemondo oder Canalina, standen die SS vor den Häusern. Vor meinen Haus, gab es einen Platz den wir "Palast" nannten, wo wir im Sommer immer Tische und Stühle hinstellten. Als ich dort ankam, forderte mich ein Deutscher mit Maschinengewehr auf, stehenzubleiben. Ich antwortete: "Es ist mein Haus!" Der Soldat sagte nur zu mir: "Halt, raus!". Ich verstand kein Deutsch, aber "raus" bedeutete, geh weg, verschwinde. Ich sagte ihm: "Das ist mein Haus; ich muss das Abendbrot für meine Brüder zubereiten". Wieder antwortete er: "Raus, schnell, schnell!" und richtete die Waffe auf mich. Ich ging ruhig zurück zu meinen Fahrrad und traf Maria, der das gleiche geschehen war. Es ist nicht die Angst vor der Waffe, es ist die Erkenntnis, dass du nichts für sie bist. Diese Männer in Uniform, die wie Kakerlaken aussahen, die eine Sprache sprachen, die du nicht kanntest, weil sie nicht mal aus deinem Land kamen, konnten dich nicht nur davon abhalten, in dein Heim zu gehen, sondern hatten auch die Macht, dich zu töten. Du warst nichts für sie, du warst weniger als ein Insekt. Es ist schockierend. Vielleicht waren wir darauf nicht vorbereitet Wir waren junge Mädchen, die unter Bombardierungen gelitten hatten, darunter, zu sehen, wie Soldaten gefangen genommen wurden. Die älteren Männer, die im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, meinten, dass sie in Konzentrationslager gebracht werden. Mein Vater sagte uns immer, dass wir meinen Bruder mit Essen versorgen müssen, weil man ihn sonst verhungern lässt. Ich fragte mich, was diese Bestien mit den Gefangenen tun würden. Man muss ihnen helfen. Man leidet schrecklich unter den Dingen, die man erfährt. Am Ende sind sie junge Menschen wie du. Du weißt nicht, was ihre Zukunft sein wird, du riskierst dein eigenes Leben, um ihnen zu helfen. Wir gingen auf die Straße, wenn wir einen Soldaten sahen und brachten ihn außer Gefahr, da überall Straßenblockaden waren. Sogar unsere alten Männer brachten sie auf ihren Fahrrädern mit, damit sie sich ausruhen konnten und nicht in Gefahr geraten. Du realisierst sofort, dass hier etwas schreckliches passiert. Dass die Antifaschisten Recht hatten, mit dem was sie sagten. Dennoch, bis dahin hatten wir Menschen nicht aus politischen Gründen geholfen, sondern aus Menschlichkeit. Als Frau rettest du den Sohn einer anderen Frau. Das war, was uns den Mut gegeben hat, uns der Gefahr gegenüberzustellen. Von diesem Moment an war mir klar, dass es eine bewusste Entscheidung sein muss. Seit dem, habe ich nie wieder gezögert, die Dinge zu tun, um die man mich bat.
Zuhause kümmerte sich mein Vater um das Munitionsproblem. Da er Wein abfüllte, hatten wir Kisten voll mit Flaschen im Keller, bereit zur Auslieferung. Er machte Löcher in die Kisten und tat dort Munition hinein. Dann schloss er sie. Unsere Küche war direkt über dem Keller. Der Keller hatte eine gewölbte Decke mit leerem Raum zwischen den Gewölben. Mein Vater hatte einige Fliesen herausgenommen in der Küche über einem dieser Räume. Wir versteckten unsere Waffen, Gewehre und alles andere dort. Dann taten wir die Fliese zurück setzten eine Kommode darüber. Es war wirklich ein sehr schwierig zu findendes Versteck. Einmal sagte Torelli zu mir: "Laila, was du tust, ist nicht genug. Du tust so viel für die Partisanen und uns, aber du musst darüber nachdenken wie deine Zukunft aussieht". Ich antwortete: "Nun, lass us hoffen, dass sie ein bisschen besser sein wird, als jetzt". Er sagte: "Wenn du magst, plane ein Treffen mit all deinen Frauen und ich besorge euch einen kommunistischen Führer." Für uns gab es keinen Unterschied zwischen kommunistisch und sozialistisch, was wussten wir schon über Politik? Wir hatten nie damit zu tun gehabt. Mit dem Faschismus konntest du nur lesen, was sie dir gaben und du hattest nicht mal das Recht, es zu kommentieren. Bevor wir das Treffen hatten, traf ich Paolo Davoli, der erklärte, wie wichtig es ist, dass Frauen über ihre Zukunft diskutieren. Nach dem Krieg würden Frauen an Wahlen teilnehmen und die gleichen Rechte wie Männer haben. Das war großartig für uns. An diesem Punkt verstanden wir, dass wir die Zukunft verändern könnten, dass wir mehr sein mussten, als nur Partisanen, ein Bewusstsein über unsere Rolle bekommen mussten. Aber wir waren so unwissend, es war traurig. Ich baute zwei Unterstützergruppen für Frauen auf, wir hatten zwei oder drei Treffen. Dieser Arbeiter kam. Ich glaube, er war Mechaniker in der Bloch Fabrik
Er sagte zu mir: “Wir brauchen jemanden, der Sachen, die wir brauchen in die Berge bringt, besonders Munition und Waffen. Glaubst du, du kannst das tun?" Ich sagte ja. Die Ferrari Brüder hatten zu der Zeit eine Fleischerei in der Nähe des D'Alberto Kinos. Zwei Brüder waren in den Bergen mit den Partisanen der Don Pasquino Abteilung, ein anderer war bei den Faschisten. Sie sagten: "Er ist bei den Faschisten, weil wir ihn dorthin geschickt haben. Er war ein Faschist und sie haben ihn gern aufgenommen. Jetzt schickt er uns einige Waffen. Wenn wir dir sagen, wohin du gehen sollst, geh einfach und er wird dir einige Sachen geben”. Der Treffpunkt war ein Hotel hinter der Riunite Apotheke. Ich würde hingehen, hineingehen und auf ihn warten. Er würde ankommen, mir ein kleines Paket geben. Wir würden Auf Wiedersehen sagen und gehen. Meist würde er Handwaffen bringen. Wenn es nur zwei Handwaffen waren, würde ich sie allein tragen. Ich hatte große Brüste und sie passen perfekt genau in die Mitte... und dann zu Fuß nach Currada, wo ich Marco traf (Sergio Beretti's Kampname). Manchmal brachte ich Munition, andere Male Salz usw.
Sie kamen eine Woche, nachdem sie sie verhaftet hatten, noch im August. Ich wurde einen ganzen Tag befragt. Am Morgen wurde ich vom Kommandant der UPI und einem der Kommissare verhört. Ich glaube, es war Dr. Cocconi. Er war der Cousin des Stellvertreters des zentralen Hauptsitzes der Partisanen, die in den Bergen operierten. Ich wurde sehr hart befragt. Sie beschuldigten mich. Ich habe geleugnet, behauptete, dass ich nur dort war, um Eier zu holen. Das ein Mann mich nach meinem Ausweis fragte und ich nicht mal wusste, wer er war. Das dauerte zwei oder drei Stunden. Dann sagten sie, sie würden mir den Mann gegenübersetzen, der meinen Ausweis genommen hatte. Sie brachten den Mann herein. Er trug einfache Kleidung, aber hatte sich herausgeputzt mit einem Schlips. So erzählte er, was ich getan hatte, sagte, dass mein Bruder ein Partisane sei und ich dort ein Gewehr abholen wollte. An diesem Punkt verlor ich das Licht der Vernunft. Das war mein Glück, da ich sehr aggressiv reagierte: “Sie Schurke, ich wollte ein Gewehr abholen? Als ich ankam, fragten Sie nach meinem Ausweis. Sie sahen meinen Namen und dass ich in Reggio lebe und Sie sagten, Sie kennen meinen Bruder..." I musste das sagen, da mein Bruder bereits in den Bergen war, es hätte mich retten können. "Sie sagten, ich muss ihm ein Gewehr bringen, aber wie konnte ich nein sagen zu Ihnen? Sie hatten ein Gewehr, ich hatte nur einen Korb mit Eiern in der Hand." Ich war sehr gemein. Also sagte er, ich hätte Recht und nahm zurück, was er gesagt hatte. Sie baten mich, die Mitschrift zu unterschreiben. Ich konnte nicht erkennen, was sie geschrieben hatten. Mein Cousin und ich unterschrieben. Dann sagten sie uns, wir könnten nach Hause gehen, aber sie wollten uns am folgenden Morgen wieder sprechen. Ich sagte: "Hören Sie, ich habe Angst, zu Hause zu bleiben. Jede Nacht gehe ich zu San Bartolomeo zu meiner Cousine. Sie ist die lokale faschistische Sekretärin. Kann ich dort hin?" Meine Cousine sagte das gleiche: "Ich gehe normalerweise mit ihr oder zu meiner Mutter. Würden Sie uns dort hin lassen?" Sie stimmten zu. Ich kam nach Hause und Mafaldo Chiessi, der auch Antifaschist und verantwortlich für die Kommunikation zwischen Reggio und Milan war, sagte mir: "Machst du Witze? Du kannst hier nicht bleiben. Morgen werden sie dich foltern. Heute war nur der Anfang. Morgen wird es anders sein, vertraue mir. Glaube nicht, sie kommen dich nicht holen. Nach dem was passiert ist, musst du weglaufen". Mein armer Vater sagte irgendwann: "Ich habe vier Kinder, aber ich muss gestehen, ich kenne sie nicht. Ich dachte nie du bist..." Das war, weil wir unter absoluter Geheimhaltung gearbeitet hatten. Nicht mal mein Freund wusste, was ich tat und seine Mutter oder sein Schwiegerbruder hatten ihm nichts erzählt. Geheimhaltung war absolut notwendig zum überleben; es gab nichts was wichtiger war. Mein Vater sagte: "Jetzt wirst du also auch gehen. Ich habe einen Sohn, der schon ein Jahr fort ist und ich weiss nicht wo er ist und ob er am Leben ist. Und der andere, von ihm habe ich keine Neuigkeiten seit drei Monaten. Er ware für eine Weile zuhause, aber ich weiß nicht, wo er jetzt ist." Es gab keine Kommunikation mit den Familien von den Bergen ins Tal. "Jetzt wirst du auch gehen und ich bleibe zuhause mit deiner Schwester, einem zehnjährigen Mädchen. Aber ich glaube, du hast die richtige Wahl getroffen. Wenigstens wirst du eine Chance haben, dich zu retten und zu verteidigen. Nich wie wir, die hier wie Mäuse zuhause gefangen sein werden. Denke einfach daran, dass dein Vater sehr viel auf dich hält." Das war es, was mein Vater mir sagte.
Nachdem wir ein Weile gelaufen sind, kommt uns eine Streife entgegen, Partisanen der Rosselli-Einheit. Rosselli war einer der ersten Partisanen dort. Wir kommen also bei der Einheit an. Kaum angekommen spricht der Kommandeur mit uns, will wissen, warum wir zu ihnen kommen. Wir erklären ihm, was passiert war. Und auch hier wird plötzlich wieder alles auf den Kopf gestellt. Nicht nur, dass du kämpfen lernen musst. Der Partisanenkommandeur sagt: “Hört mal, ab sofort seid ihr weder Männern noch Frauen, ihr seid Partisanen." Ihr tut, was die anderen tun, ihr teilt mit uns und schlaft in den gleichen Räumen, teilt das Essen mit uns, teilt alles, was zu tun ist mit uns, auch Streifendienst. Am Anfang werdet ihr langsam lernen. Ihr lernt die Waffen zu benutzen, lernt die Waffen kennen, wie man sie pflegt, schützt, lädt und einsetzt. Ihr werdet Wache halten, Streife laufen und nach und nach werdet ihre lernen und Kämpferinnen werden. Ihr habt hier die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten wie die Partisanen. Niemand hier darf euch in Schwierigkeiten bringen und ihr müsst euch so verhalten, dass niemand anders in Schwierigkeiten gebracht wird”. Am ersten Abend hatten sie uns zuerst einen Raum gegeben, der voller Wanzen war. Den mussten wir fluchtartig verlassen, weil man wegen der Bisse nicht schlafen konnte. So habe ich die erste Nacht zwischen De Pietri, einem Partisanen aus Reggio, mit dem ich auch später noch befreundet war, und einem jungen sardischen Carabiniere verbracht. Der Carabiniere hatte sich deutschen Befehlen widersetzt und war zu den Partisanen geflohen. Wir haben die ganze Nacht über gequatscht. Sie fragten mich nach Informationen aus der Stadt und ich fragte, wie wir uns verhalten müssten und so. Da habe ich den Unterschied tatsächlich begriffen. Zu Hause wäre es unmöglich gewesen, bei einem Mann zu schlafen. Frauen waren für die Partisanen sehr wichtig, weil sie dahin gehen konnten, wo die Männer nicht hinkamen. Die Männer waren Kriegsdienstverweigerer. Überall wo sie auftauchten, selbst ganz junge, wurden sie festgehalten, durchsucht und im besten Fall in Konzentrationslager gebracht. Wir Frauen hingegen waren keine Kriegsdienstverweigerer, wir hätten nicht bei der Armee sein müssen oder in den faschistischen Milizen. Darum konnten wir uns freier bewegen als sie. Wir kümmerten uns um Druckerzeugnisse, Propaganda, Waffen, alles mögliche. Wenn eine GAP- oder SAP-Einheit in der Po-Ebene unterwegs war, dann ging eine Frau voran. Auch die Rosselli-Abteilung in den Bergen, wenn sie zum Beispiel in Cavandola bei Canossa war und nach Quattro Castella kam, oder eine Aktion auf der Via Emilia machte, dann war eine Partisanin die Kundschafterin. Sie wurden Stafetten genannt, aber wir waren Kundschafterinnen. Wir gingen voraus, um zu sehen, was los war, liefen zurück und berichteten, ob der Weg frei war. Das war extrem wichtig.
Als Partisanin wählte ich den Kampfnamen Laila. Ich war immer noch Anita für meine Freunde, aber man kannte mich nur als Laila unter den Partisanen. Manchmal sogar bei Leuten, die ich nicht kannte oder zum ersten mal traf. Es war mein Kampfname. Die Namen, die wir bekamen, erhöhten unsere Chance zu überleben. Wenn einer verhaftet wurde und unter Folter redete, so sagte er den Namen, den er kannte, was nicht der echte Name war. Viele retteten sich selbst auf diese Art. I wählte den Namen Laila, weil ich viel las und ich von dieser Prinzessin in einem Buch über Azteken gelernt hatte. Ihr Ehemann war ein aztekischer Prinz, der Kommandeur einer Einheit, die gegen Spanische Angreifer kämpfte. Als er im Kampf getötet wurde, nahm sie seinen Platz ein. Laila war der Vorname einer weiblichen Kämpferin, darum dachte ich, es wäre eine gute Wahl für einen Namen für ich. Sie war eine Kämpferin und ich wählte einen Namen, der widerspiegelte, was ich tat.
Es gab immer mehr Frauen in den Bergen zu der Zeit. Einige waren verhaftet und gefoltert worden. Wenn sie in Gefahr waren, kamen sie in die Berge zu den Partisanen. Die öffentliche Meinung fing an, schlecht darüber zu reden, was die Frauen dort wohl taten. Ich wurde mit dieser Idee auch konfrontiert. I war für einen Monat auf dem Barazzone mit der Abteilung als man mir sagte, ich solle nach Cerresola gehen, weil mein Freund Nanzio Corrada auf mich wartete. Ich ging zu ihm und sofort als ich ihn sah, wusste ich, dass sich hier ein Sturm zusammengebraut hatte. Er sagte mir sofort, dass ich mit ihm gehen müsse. Ich frage ihn, warum, da ich weglaufen musste, um nicht hingerichtet zu werden. Glaubte er, es war richtig für mich, zurück nach Hause zu gehen? Er fuhr fort, "Wir werden heiraten, dann kommst du nach Varese und niemand wird nach dir suchen". "Du glaubst also, dass, wenn wir heiraten, ihnen die Information geben, die sie brauchen, würden sie mich nach Varese gehen lassen? Wärst du glücklicher, wenn ich gefoltert werde? Du machst Witze, oder?" Ich fügte hinzu, "Ich habe diese Entscheidung getroffen, warum sollte ich jetzt weggehen?" Darauf antwortete er: "Wenn du hier bleibst, bist du es nicht wert meine Kinder großzuziehen". Das war es , ich konnte es nicht mehr aushalten. In der Vergangenheit hatten wir uns bereits über die Rolle der Frau in der Familie gestritten. Ich könnte es nicht akzeptieren, als ein Niemand angesehen zu werden. Ich konnte die Tatsache nicht ertragen, dass Mann mich nur heiraten würde, um ein Hausmädchen zu haben und jemanden, der seine Kinder zur Welt bringt. Das er das Kommando haben würde. Es war oft ein Diskussionsthema, sogar mit meinem Vater, obwohl er sehr demokratisch und offen war und bestimmte Sachverhalte verstand. Mein Freund tat das nicht. Ich sagte ihm: "Ein Kind zu zeugen, ist für einen Mann nur eine Sache von Sekunden. Ich teile mein Leben mit ihm für 9 Monate. Es lebt in mir, Ich bin diejenige, die ihm Nahrung gibt, es versorgt und eine Chance zum Leben gibt. Und du sagst mir, dass ich keine Entscheidungsgewalt habe, dass ich nicht sagen kann, wie es aufwachsen soll?" Seine Antwort war einfach, dass der Mann zuhause die Entscheidungen trifft. Also sagte ich ihm, er kann nach Hause gehen, um der Mann des Hauses zu sein, währen ich zurück in die Berge gehen, weil ich meine Entscheidung getroffen hatte. Es war keine einfache Entscheidung nach so vielen Jahren Verlobung. Mit ihm zu leben, hatte ich mir für meine Zukunft vorgestellt. Jetzt musste ich dem ein Ende setzen. Ich musste auch in Betracht ziehen, dass ich keine weitere Chance haben könnte, zu heiraten. Nach so langer Verlobung wurde man als Witwe betrachtet. Es würde schwierig werden, einen jungen Mann zu finden, der willens wäre, mich zu heiraten. Aber ich fühlte mich nicht danach, eine Familie mit einem Mann zu gründen, der solche Prinzipien hat.
Ich kehrte nach Hause zurück und wusste, dass ich das vorfinden würde, was ich zurückgelassen hatte. Und wenn man bedenkt, dass ich dort oben eine andere Person geworden war ... ich war sehr geachtet, nicht nur wegen meines Dienstgrads, sondern weil ich bei heiklen Operationen eingesetzt wurde, für die Verbindungen usw. Ich wollte es nicht mehr hinnehmen, zu Hause fragen zu müssen, welche Arbeit ich verrichten soll, ständig unter Beobachtung zu stehen "aber dein Bruder sagt dies, aber dein Vater sagt das". Als ich nach Hause kam, sagte ich zu meinem Vater: "Ich möchte nicht mehr zu Hause arbeiten, sondern meine eigenes Leben aufbauen, eine Arbeit finden, bei der ich unabhängig sein und das Beste von mir geben kann, denn zu Hause ersticke ich." Und Papa war einverstanden. Also begann ich zu arbeiten, Frauengruppen aufzubauen, die Frauenbewegung aufzubauen. Dann habe ich eine Parteischule besucht und später schickten sie mich in die Gewerkschaftsarbeit. Und dort begann ich für die Verteidigung der Frauenrechte zu arbeiten. Ich hatte die Entscheidung getroffen, anstelle derer zu arbeiten, die gestorben waren, um die Dinge zu erreichen, nach denen sie gestrebt hatten. Das waren ja letztlich auch meine Ziele. Unsere Ziele waren sehr einfach: eine Arbeit haben, meiner Familie ein besseres Leben ermöglichen, meine Kinder zur Schule schicken können, in einer Gesellschaft leben, in der jeder seine Gedanken äußern und sie mit anderen vergleichen kann ... aber gleichzeitig die individuellen sowie die Rechte der Gemeinschaft verteidigen. Als ich begann für die Partei zu arbeiten, obwohl ich keine besonderen Fähigkeiten hatte, bauten wir Frauenzellen auf, weil wir Frauen aus dieser Realität kamen, ich war nicht die einzige. Wir mussten unsere Probleme diskutieren, begreifen, wie man wählt, was die Probleme der Frauen waren, was die Forderungen der Frauen waren. Wenn wir mit Männern diskutierten, äußerten sich keine der Frauen. In einer reinen Frauengruppe war es möglich, die gleichen Probleme zu besprechen, die Frauen diskutierten, wir formulierten unsere Forderungen. Unmittelbar nach dem Krieg herrschte schreckliches Elend, viele Kinder auf den Straßen... Als erste Initiative schlug ich einen Kindergarten vor: Es gab einen Kindergarten, aber der war zu klein für alle Kinder; In der Via Bainsizza gab es Sozialwohnungen und eine Unzahl von Kindern, die den ganzen Tag auf der Straße waren und auf die Rückkehr ihrer Mütter von der Arbeit warteten. Sie bekamen nur morgens und abends zu essen, selten mittags, weil den Familien das Geld dafür fehlte. Es sollte also eine Kindergarten geschaffen werden, um diese Kinder, die nicht zur Schule gingen, zu sammeln und von der Straße zu holen. Wir wollten sie zusammenbringen, mit ihnen reden, ihnen ein Minimum an Sicherheit, an Gelassenheit und auch Essen geben. Die Kommunistische Partei stellte uns ihr Büro zur Verfügung, eine kleine Wohnung in dem Arbeiterviertel, und wir begannen zu diskutieren, wie wir es machen sollten. Der Kampf um die Kindergärten war die erste große Kampagne, zusammen mit dem Frauenwahlrecht, der Lohngleichheit, usw.
Mir sind diese Geschichten wichtig. Gar nicht so sehr wegen mir selbst. Eher wegen des Nutzens, den sie für diejenigen haben, die sie hören und darüber nachdenken möchten. Denn es geht dabei um wirkliches Leben. Ich übertreibe nicht, im Gegenteil, einige markante Episoden gebe ich weniger beeindruckend wieder. Denn ich halte es für wichtig, über diese Realität nachzudenken. Es geht ums 20. Jahrhundert und wie wir es gelebt haben. Verstehst du?
Anita Malavasi (1921 - 2011)
Kampfname
Laila
Widerstand
1943: Roncolo di Quattro Castella (Italien)
Armed Resistance, Unarmed Resistance, Partisan
Widerstandsgruppen
144° Brigata Garibaldi »Antonio Gramsci«
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