Ich heiße Ulisse Gilioli, geboren am 26. Mai 1921 in Montecavolo bei Quattro Castella (Provinz Reggio Emilia). Meine Familie waren Müllersleute, seit über 400 Jahren waren sie Müller. 1929 gab es eine schlimme Wirtschaftskrise und mein Vater hat sehr viel Geld verloren... Hauptsächlich, weil er mit dem Pfarrer befreundet war, der 12 oder 14 Halbpächter für sich arbeiten ließ, also sehr wohlhabend war, aber die Pächter konnten für das, was sie zur Mühle brachten und dann abholten, nicht mehr zahlen. "Hab Geduld, du wirst schon sehen, eines Tages so Gott..." Jedenfalls kam der Tag, an dem mein Vater viel, viel Geld verloren hatte. Danach teilten wir uns auf. Ich und mein Bruder, "Portos", waren Schüler, darum gingen wir nach Montecchio, in Montecchio hatten wir ein schönes Häuschen. Es hatte alles schon begonnen... Ich war oft bei der Familie von Iones Bertolini, er ist Partisan gewesen, Verdienstmedaille in Silber, sehr leidenschaftlich, dort bin ich Kommunist geworden, denn die Mutter war Antifaschistin, der Vater hatte nach Frankreich emigrieren müssen, sie waren sehr arm. Ich habe ihn nur einmal gesehen, als er nach Montecchio kam, um seine Familie zu besuchen. Da sah ich ihn mit einer Steinschleuder ein Huhn fangen und dann zum Essen mit nach Hause nehmen. Wirklich schreckliche Armut. Da habe ich jedenfalls begonnen... Ich mochte die Frau nicht besonders, sie war gut und freundlich, aber sie fluchte so viel über den Quadratschädel (Mussolini), der die Leute in den Tod schickte... Ich hätte sie mir etwas feinfühliger gewünscht, aber sie hatte Recht, in vieler Hinsicht.
Während ich zu Hause war, fühlte ich mich nicht sicher, denn die Faschisten waren Spione. Nach Kriegsende habe ich gelesen, was die über mich geschrieben haben und über meinen Bruder "Portos", Kommandeur einer Abteilung, und über meine Bruder Tonino, der Bote war. Die haben vielleicht ein Zeug geschrieben! Einen dieser Spinner kannte ich, aber ich habe es ihm nie vorgeworfen, für das Wohl des Landes. Man wurde auch schnell zum Antifaschisten, denn die Faschisten waren Dummköpfe, richtige Hammel! Jetzt, wo ich darüber nachdenken, wundere ich mich, wieviele Leute ihnen geglaubt haben! Ich war so wütend auf diese Faschisten, dass man es sich kaum vorstellen kann! Wenn ich heute zum Beispiel den Duce (Mussolini) sehe, muss ich fast Brechen, ich kann denen nicht verzeihen! Dann bin ich in die Berge gegangen, habe dabei die Felder eines gewissen Fontana durchquert, ein Faschist aber ehrlich. Ihm war klar, dass ich mich freiwillig meldete. Wir sind ans Ufer des Flusses Enza und hatten dort einen Treffpunkt mit vielen anderen jungen Männern. Meine Aufgabe war es, einen Sack mit 5 Kilo Salz von Montecchio nach Canossa zu bringen. Als Müllerssohn habe ich ihn mir auf die Schultern gepackt und kam so zu Fuß in Canossa an, wo sie uns stoppen. "Halt! Parole!" Die Parole war "Torino. Avanti Toro!" Dann ging es zum schlafen in eine Art Scheune und es gab Essen, denn wir hatten bis dahin nicht einmal gefrühstückt. Sie gaben uns eine grosse Tasse mit Brot und Milch. Ich war mit meinem Bruder in der Abteilung "Stalin". Ich nannte mich nicht Bonifazius VIII in Erinnerung an Mathilde von Canossa sondern "Orazio" (Horace), damals hatte ich nur Horatier und Curiatier im Sinn: mein tödlicher Kampf (für die andern, nicht für mich) war nämlich der mit den Deutschen. Ich nannte mich "Orazio", weil die Deutschen, diese benzin-farbenen Männer, die Augen in dieser Farbe hatten, große Krieger zu sein schienen.
In der Zwischenzeit hatte ich ein Gedicht geschrieben über die Partisanen-Stafette. Soll ich es euch vortragen? Das Gedicht heißt "Garibaldina": "Heldin, die mutig und flink über steile Straßen und schreckliche Wege läuft, du hast etwas in deinen stolzen Augen, es erinnert an Mutter, Frau und Schwester. Schmucklos sind die Haare und der Rock, deine Gedanken gelten dem Kampf und den Nöten: Du ruhst nicht in sauberen Kissen, doch etwas Stroh lindert dein Darben. Werde nie müde, junge Anita, wenn du dieses bittere Leben lebst, für den Triumph des Ideals der Freiheit, auf dass die heilige Schlacht alle weist, den Weg des gerechten und strahlenden Morgen, den Weg zum universellen Frieden." Kurz vor Weihnachten brachte ich es in die Redaktion und traf dort den Rechtsanwalt Lando Landini, der damals Medizin studierte. Er sagte zu mir: "Schau mal, dieser Vers reimt sich nicht ..." Ich antwortete: "Nichts für ungut ... entweder veröffentlicht ihr es so oder gar nicht" und ging. Nach 20-30 Metern höre ich den Anwalt Landini rufen: "Geh ruhig, ich kümmere mich drum, wir veröffentlichen es. Und hör mal, würdest du herkommen und bei der Zeitung arbeiten?" Es wurden nämlich zwei Zeitungen herausgegeben, "Garibaldino" und "Il Partigiano": der Garibaldino für die Garibaldi-Brigaden, der Partigiano für die Grünen Flammen (katholische Einheiten). Ich willigte ein und wurde zum Sonderberichterstatter ernannt: ich ging in die Einheiten und beschrieb das Partisanenleben dort. Das gefiel mir und ich merkte, dass ich von Tag zu Tag besser wurde, und sagte zu mir selbst, wie gut ich war ... Moral der Geschichte: wir kamen nach Reggio und begannen mit einer weiteren Zeitung, dem "Freiwilligen für die Freiheit" und ich wurde Chefredakteur. Direktor war damals "Eros", Didimo Ferrari. Die Zeitung wurde durch einen gewissen "Cipro" ermöglicht, der später Bataillonskommandeur beim Oberkommando wird und ich Vize-Kommandeur. Irgendwie gelang es ihm - ich weisst nicht wie - jedenfalls, wenn er welches fand (Papier), brachte er es zur Kommandostelle, die gab es an die Redaktion weiter. Wir suchten also nach Papier, nach Druckfarbe und mit einem Abziehapparat machten wir dann Exemplare der Zeitung. Mit dieser Kurbel machten wir fast 1000 Exemplare, sodass ich nachts beim schlafen so machte ... die Kurbel drehte. Wir hatten viele Leser, denn es gab viele wirklich nette Geschichten. Gestern habe ich einen Partisanen getroffen, Vize-Bataillonskommandeur, der hat gesagt: "Du hast schöne Sachen geschrieben". Naja, wir versuchten ja auch, die Moral hochzuhalten.
Ulisse Gilioli (1921 - 2007)
Kampfname
Orazio
Widerstand
1940 - 1945: Reggio Emilia (Italien)
Armed Resistance
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Original interview language (Italienisch)
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